Die Austreibung der New Economy
Der Machtwechsel im weltgrößten Medienkonzern AOL Time Warner, der am vergangenen Freitag erfolgte und Manager der "alten Wirtschaft" [zurück] an die Spitze brachte, kann auch als Teil der Abwicklung der New Economy verstanden werden.
Die Fehler aus der hysterischen Zeit des Glaubens an das unbegrenzte Wachstum mit virtuellem Antrieb wurden und werden nach einem Muster korrigiert, das mit der Abwertung der Aktien und der Abschreibung der Spekualtionsverluste begonnen hat und derzeit vor allem mit der Ablösung der ehemaligen "Popstars" der Branche und der Aufarbeitung der "Bilanzierungskultur" weitergeführt wird.
Bei AOL Time Warner, dessen Fusion vor zweieinhalb Jahren als Erfüllung der New-Economy-Träume galt, fielen die beiden letzten Punkte wohl nicht ganz zufällig zusammen:
Am Freitag kündigten US-Anleger an, den Konzern wegen irreführender Angaben über sein Betriebsergebnis zu verklagen, und gleichzeitig wurde mit Robert W. Pittman ein prototypischer Dot.com-Manager als CEO abgelöst und durch Time-Warner-Leute ersetzt.

Überraschungs-Merger
Im Januar 2000 hatten AOL und Time Warner überraschend angekündigt, eine Fusion anzustreben.
Nachdem die Nachricht zunächst euphorisch als endgültiger Sieg der New Economy gefeiert wurde, gab es schon kurz darauf ernsthafte Bedenken, ob der Zusammenschluss überhaupt sinnvoll sei.
"Kein Mensch weiß, wo das Internet in fünf Jahren steht", warnte schon damals ein Fondsmanager vom kalifornischen Geldhaus Ross Financial Management. "Wenn ich Time-Warner-Aktionär wäre, würde ich nicht gegen AOL-Anteile tauschen, sondern sofort verkaufen."
Die Krise kam unterdessen sehr viel schneller, und rund zweieinhalb Jahre nach den ersten Mahnungen wird der Konzern jetzt ernsthaft umgebaut, um den massiven Problemen zu begegnen.

Das Beste verpasst
Nachdem die europäischen und US-Wettbewerbsbehörden rund ein Jahr lang teilweise massive Einwände gegen den Merger hervorgebracht hatten, wurde die Fusion schließlich im Januar 2001 unter Auflagen genehmigt.
Allerdings hatte sich schon damals das Umfeld durch den Beginn der Börsentalfahrt gründlich geändert und entsprach längst nicht mehr den Kriterien, auf die der Zusammenschluss abgezielt hatte.
Ursprünglich hatte die Fusion auch noch einen Wert von 165 Milliarden USD. Die vollzogene Transaktion war dann ein Jahr später durch den Absturz der Kurse allerdings nur noch rund 106 Milliarden USD schwer.
Die "neue Qualität" der Fusion blieb dagegen auch nach einem Jahr noch sehr konturlos. Insbesondere die konvergenten "Killeranwendungen", die von dem neuen Konzern erwartet wurden, waren alles andere als klar definiert.

Milliarden abschreiben
Im ersten Quartal 2002 musste AOL Time Warner dann einen Nettoverlust von 54,2 Milliarden USD [rund 60,7 Mrd. Euro] hinnehmen.
Die Sonderbelastungen von 54 Milliarden USD reflektierten den spekulativen Verlust des Konzernswertes während des Mergers. Von der Größenordnung her entsprach die Sonderabschreibung etwa dem Bruttoinlandsprodukt von Neuseeland und Ungarn.
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Diese Bezifferung des Spekulations-Verlustes erfolgte allerdings nicht ganz freiwillig: Seit Beginn dieses Jahres müssen US-Firmen den so genannten "Goodwill"-Anteil an Unternehmenskäufen nämlich jährlich angeben.
Der Goodwill-Anteil ist jener, der über den objektiven Preis hinaus bezahlt wurde - und dieser war während des Internet-Hypes in der Regel Schwindel erregend hoch.

Stolz auf Fehler
Der vor einigen Monaten ausgeschiedene AOL-Time-Warner-Konzernchef Gerald Levine, der mit AOL-Gründers Stephen M. Case die Fusion eingefädelt hatte, hat allerdings aus dem experimentellen Charakter des Zusammenschlusses nie ein echtes Geheimnis gemacht.
Als er im letzten Sommer in Cannes mit dem Preis "Medienmann des Jahres" ausgezeichnet wurde, sagte er sogar, dass seine Fehler ihn "noch stolzer" machen würden als seine Erfolge:
"Mir kommt es darauf an, Dinge auszuprobieren. Sie müssen nicht zwingend erfolgreich sein, aber sie hinterlassen eine Spur im Gedächtnis", erklärte Levin seine Ansicht.
