12.01.2000

RAUSCH VORBEI

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Der Kater nach dem Mega-Merger

Nach einem Tag Euphorie über den Mega-Merger zwischen AOL und Time Warner kehrt Ernüchterung bei Analysten, Kommentatoren und Anlegern ein: Die Börse sieht jetzt auch die Risiken des Deals, und kritische Stimmen, die eine Bedrohung der Meinungsvielfalt befürchten, werden laut.

Während die Warner-Notierungen noch einen Großteil ihrer Montagsgewinne von fast 25 Dollar halten konnten und nur eine Korrektur um 7,8 Prozent auf 85 Dollar erfuhren, stehen die AOL-Aktien nach der heutigen Talfahrt um 10,5 Prozent mit 65 Dollar deutlich unter ihrem Wert von Montag früh.

Dahinter steht die Erkenntnis, dass vielen AOL-Anlegern [vor allem solchen mit kurzfristigen Zielen] der Kauf des klassischen Medienkonzerns mit seiner relativ trägen Geschäftsentwicklung nicht ins Konzept passt.

Außerdem ergeben sich nach dem euphorischen Montag, an dem vor allem die schiere Größe des Deals bestaunt wurde, jetzt Fragen danach, wie die extrem unterschiedlichen Unternehmens-Kulturen und -Strukturen zusammenwachsen sollen.

"Demokratie und Medienvielfalt bedroht"

In den Chor der positiven Kommentar-Stimmen mischen sich zunehmend kritische Töne. So dürfte die EU-Kommmission die Fusion zwischen AOL und Time Warner wegen der möglichen Auswirkungen auf die Verbraucher in der Europäischen Union besonders scharf durchleuchten.

Der Zusammenschluss bedrohe Demokratie, Meinungsvielfalt und Qualität in den Medien, erklärte der Internationale Journalistenverband (IFJ) am Dienstag in Brüssel.

Eine "Handvoll" großer Unternehmen kontrolliere inzwischen die Informationen und wie diese der Öffentlichkeit dargestellt würden.

Analysten und Journalisten

Die deutsche Journalistengewerkschaft IG Medien sorgt sich um die unabhängige Produktion und Verbreitung von Nachrichten und Medienprodukten.

Die Trennung von Netzbetreibern und den Herstellern der Inhalte sei damit endgültig aufgehoben, die Meinungsfreiheit in Gefahr, warnt IG-Medien-Experte Heinrich Bleicher-Nagelsmann.

Auch der Fondsmanager Mark Fredenburg vom kalifornischen Geldhaus Ross Financial Management will nicht so recht einsehen, dass mit der De-facto-Übernahme des klassischen Medienkonzerns durch die Internet-Firma des dynamischen AOL-Chefs Steve Case zusammenwächst, was zusammengehört.

"Kein Mensch weiß, wo das Internet in fünf Jahren steht", warnt Fredenburg. "Wenn ich Time-Warner-Aktionär wäre, würde ich nicht gegen AOL-Anteile tauschen, sondern sofort verkaufen."