Hausdurchsuchungen wegen Kartellverdacht
Wegen Kartellverdachts haben Inspektoren der EU-Kommission am Mittwoch mehrere deutsche Verlage, Buchhändler und Auslieferer sowie den Börsenverein des Deutschen Buchhandels untersucht. Auch die Libro-Zentrale in Guntramsdorf bei Wien wurde untersucht.
Libro hatte am 1. Juli damit begonnen, in Deutschland verlegte Bücher im Ausland mit 20 Prozent Rabatt anzubieten. Als 30 deutsche Unternehmen darauf einen Lieferstopp gegen Libro verhängten, reichte Libro bei der EU-Kommission Beschwerde ein.
Nach Gesprächen mit Bertelsmann verkündete Libro schließlich am 28.Juli das Ende seiner Internet-Diskont-Aktion sowie die Aussetzung anhängiger Schadenersatzforderungen und Anträge. Bertelsmann hatte seine Lieferungen an Libro am 31.Juli wieder aufgenommen.
Ziel der überraschenden EU-Initiative ist einerseits die Sammlung von Beweismaterial über mögliche Absprachen zwischen Verlegern und Auslieferern, andererseits soll offenbar die am 28.Juli getroffene Übereinkunft auf denkbare Wettbewerbsbeschränkungen durchleuchtet werden.
Aus Sicht der EU-Kommission unterliegen Internet-Verkäufe über Grenzen hinweg nicht der nationalen Buchpreisbindung, es sei denn, sie dienen allein der Umgehung dieser Preisbindung.
In Deutschland verlegte Bücher, die seit 1. Juli in ein anderes EU-Land exportiert und dann wieder nach Deutschland reimportiert werden, sind grundsätzlich nicht von der Preisbindung erfasst.
Chronologie des Internet-Buchkriegs:
7. Juni 1999
Österreichs grösster Buch- und Tonträgerhändler, die Libro
Gruppe, steigt in den elektronischen Handel ein. Heute ging die
Libro-Website "Lion" online. 10 Prozent des Umsatzes sollen im Netz
erzielt werden, heisst es.

24. September 1999
Die Buch- und Unterhaltungskette Libro AG, die noch im Oktober an
die Börse soll, will in den nächsten fünf Jahren rund eine halbe
Mrd. S in ihre Internet-Aktivitäten investieren. "Lion.cc soll für
den gesamten Unterhaltungsbereich stehen".

27. Oktober 1999
Die Buch- und Medienhandelskette Libro AG geht mit 2,76 Mio.
Stückaktien an die Wiener Börse. Als Tag der Erstnotierung ist der
10. November vorgesehen. Das Emissionsvolumen beläuft sich auf 1,2
Mrd. ATS [87,2 Mio. Euro].

9.Dezember 1999
Lion.cc [Libro online] bietet ab Montag, 13. Dezember 1999, in
allen Libro-Filialen die "free & easy Box", ein
Internet-Einsteigerpaket, an.

17. Dezember 1999
Lion.cc, die Online-Sparte der börsenotierten Libro AG,
verrechnet ab sofort keine Versandkosten mehr bei Buchbestellungen
im Internet.

9.April 2000
Die geplante Fusion von Lion.cc [Libro] und A-Online [Telekom
Austria] ist geplatzt.

23. Mai 2000
Mit den Stimmen von ÖVP, FPÖ und SPÖ passierte am Dienstag der
Entwurf eines "Bundesgesetzes über die Preisbindung bei Büchern" den
Kulturausschuss des Nationalrats. Heftig diskutiert wurde vor allem
die von der ÖVP beantragte und schließlich beschlossene Herausnahme
des nationalen Internet-Handels aus dem Geltungsbereich des
Gesetzes.

7. Juni 2000
Der Nationalrat beschließt das Bundesgesetz über die
Buchpreisbindung. Die Preise sollen demnach nun auf nationaler Ebene
durch Verleger und Importeure festgelegt werden, Rabatte bis fünf
Prozent sind zugelassen. Der Internet-Handel ist von der Bindung
ebenso betroffen.

21. Juni 2000
Libro will mit dem Wegfall der grenzüberschreitenden
Buchpreisbindung vom 1. Juli an die Preise für deutsche Käufer bei
Online-Bestellungen deutlich senken.

24. Juni 2000
Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels hat massive rechtliche
Schritte gegen Libros Internet-"Preisoffensive" angekündigt.

30.Juni 2000
Es wird absehbar, dass sich die beteiligten Parteien vor den
Gerichten in Österreich und Deutschland und bei der EU-
Wettbewerbskommission heftige Auseinandersetzungen liefern werden.

3. Juli 2000
Nach der Online-"Preisoffensive" von Libro haben die
deutschsprachigen Verlage einen gemeinsamen Lieferstopp gegen den
österreichischen Anbieter erklärt und damit den erwarteten
"grenzüberschreitenden Buchhandelskrieg" offiziell begonnen.

6. Juli 2000
Im Streit um feste Buchpreise legt Libro Beschwerde bei der
Brüsseler EU-Wettbewerbsbehörde ein.

7. Juli 2000
Die Buchpreisbindung in Deutschland soll nach dem Willen der
deutschen Monopolkommission aufgehoben werden. Die Analysten der
Deutschen Bank haben ihre Einstufung für die im ATX-Segment der
Wiener Börse gelisteten Libro-Aktien von "Buy" auf "Underperform"
deutlich zurückgenommen.


11. Juli 2000
Libro erwirkt zwei einstweilige Verfügungen gegen den
Lieferboykott deutscher [und Schweizer] Verlage. Betroffen sind die
Großhändler Libri und K+V.

14. Juli 2000
Im Streit um die Buchpreisbindung im Online-Handel hat Libro den
Berliner Aufbau-Verlag auf Schadensersatz in Höhe von 750.000 Euro
verklagt. Aufbau hatte wie eine Reihe anderer Verlage Libro mit
einem Lieferstopp belegt, weil das Unternehmen deutschen Kunden über
Lion.cc bis zu 20 Prozent Rabatt angeboten hatte.

17. Juli 2000
Der Konzern der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung [WAZ] kauft 25
% an Lion.cc und 10 % an Libro. Damit erreicht WAZ die
Sperrminorität bei Lion.cc. Die Libro-Aktie reagiert mit mageren
drei Prozent plus.

24. Juli 2000
Im Streit um die Buchpreisbindung zwischen Libro und deutschen
Verlagen stehen fünf Gerichtsentscheidungen an. Libro hatte wegen
der Liefersperren Anträge auf einstweilige Verfügungen gestellt. Die
Großhändler K+V und Libri müssen Libro weiter beliefern, der
Aufbau-Verlag [Berlin] hingegen nicht.

25. Juli 2000
Die Anwälte der Handelskette Libro und der Lion.cc Online GmbH
ziehen ihre Anträge auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung
gegen den Hamburger Carlsen-Verlag zurück.

27. Juli 2000
Der in Wien ansässige Buchgroßhändler Hain wird per
Gerichtsbeschluss dazu verpflichtet, Libro wieder zu beliefern. Die
EU-Kommission in Brüssel prüft weiterhin die Beschwerde des
börsennotierten österreichischen Handels- und Medienkonzerns Libro
gegen den Lieferboykott deutscher Verlage.


28. Juli 2000
Libro kündigt an: Ab Montag null Uhr werden die Bücher auf der
Internet-Homepage Lion.cc auch in Deutschland wieder den
"marktüblichen" Preis haben.

31. Juli 2000
Ein Musterprozess zwischen Libro und einem oder mehreren Verlagen
soll Fragen zur Buchpreisbindung im Online-Handel klären. Hartmut
Jedecke vom Münchner Piper Verlag bestätigte heute, dass Piper
diesen Prozess führen könnte.

1.August 2000
Im Streit um die Buchpreisbindung ist zwischen Libro und seinen
Kontrahenten, Verlage und Großhändler in Deutschland und Österreich,
vorübergehend Ruhe eingekehrt. Man arbeite derzeit gemeinsam an
Konzepten für günstigere Buchpreise, lässt Libro-Chef Andre Rettberg
wissen.
