Siemens-Skandal erreicht Konzernspitze
Die Korruptionsaffäre erschüttert Siemens in seinen Grundfesten. Fünf beschuldigte Spitzenmanager sitzen in getrennter Haft. Vertreter der Kleinaktionäre wollen Siemens-Chef Klaus Kleinfeld zur Verantwortung ziehen.
Der frühere Siemens-Vorstand Thomas Ganswindt bleibt nach seiner Festnahme in der Schmiergeldaffäre wegen Fluchtgefahr vorerst hinter Schloss und Riegel. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft wollte sich am Mittwoch in München nicht zu den Hintergründen der Festnahme äußern.
Offenbar hatte ein ehemaliger Vorstandskollege in Vernehmungen gesagt, dass Ganswindt schon seit 2004 von dem Schmiergeldsystem gewusst habe. Ganswindt war am Dienstag verhaftet worden. Damit hat die Schmiergeldaffäre bei Siemens erstmals die Konzernspitze erreicht.
Fünf Beschuldigte in Haft
Siemens wollte sich am Mittwoch nicht dazu äußern. "Herr Ganswindt ist seit September kein Siemens-Mitarbeiter mehr", sagte eine Sprecherin. Ganswindt gehörte lange Zeit zu den bekanntesten Siemens-Managern. Er wurde auch als Nachfolger des ehemaligen Siemens-Chefs Heinrich von Pierer gehandelt, verlor das Rennen aber gegen Klaus Kleinfeld.
Die Münchner Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass ein Dutzend Verdächtige etwa 200 Millionen Euro von Siemens veruntreut und im Ausland als Schmiergeld eingesetzt hat. Die Überprüfungen bei Siemens ergaben bisher zweifelhafte Zahlungen von 420 Millionen Euro in den vergangenen sieben Jahren. Neben Ganswindt sitzen derzeit fünf Beschuldigte in Haft, darunter auch ein früherer Bereichsvorstand von Siemens.
Im September verließ Ganswindt den Siemens-Konzern und wechselte an die Spitze des Messtechnikspezialisten Elster Group nach Luxemburg. Ein Sprecher des Unternehmens wollte keinen Kommentar zu der Festnahme abgeben. Seinen Wohnsitz hat Ganswindt noch immer in München.
Haft in Landsberg
Ganswindt soll nach seiner Festnahme in die Justizvollzugsanstalt im bayrischen Landsberg am Lech gebracht worden sein. Ziel der Ermittler ist es, die Beschuldigten in verschiedenen Haftanstalten unterzubringen, um jeden Kontakt untereinander zu verhindern.
"Es ist Trennung angeordnet", hieß es. Die Staatsanwaltschaft hatte im Zusammenhang mit der Schmiergeldaffäre von einer Bandenbildung gesprochen. Wann Ganswindt wieder auf freien Fuß darf, ist unklar.
Die täglich neuen Hiobsbotschaften in der Siemens-Affäre kratzen zunehmend am Ansehen von Konzernchef Kleinfeld. In einer am Mittwoch veröffentlichten Umfrage waren nur noch 28 Prozent der befragten Aktionäre der Meinung, dass Kleinfeld den Wert des Unternehmens nachhaltig steigern kann. Vor drei Monaten waren es noch 52 Prozent. Die repräsentative Umfrage hatte das "manager magazin" bei dem Meinungsforschungsinstitut TNS Emnid in Auftrag gegeben.
Von Pierer unter Druck
Auch Siemens-Aufsichtsratschef von Pierer, in dessen Amtszeit als Vorstandsvorsitzender die Affäre fiel, steht immer stärker unter Druck. Renate Künast, Vorsitzende der deutschen Grünen, forderte am Mittwoch die Ablösung von Pierers als Innovationsberater der Bundesregierung: "Bis zur vollständigen Aufklärung der Schmiergeldaffäre bei Siemens ist Heinrich von Pierer als Innovationsberater der Bundesregierung und Vorsitzender des Rates für Innovation und Wachstum untragbar." Der Manager ist seit dem vergangenen Jahr Wirtschaftsberater von Kanzlerin Angela Merkel [CDU].
Kleinanleger verärgert
Von Pierer und die Konzernspitze um Kleinfeld müssen den Aktionären am 25. Jänner auf einer Hauptversammlung Rede und Antwort stehen. Daniela Bergdolt von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz kündigte an, dabei die Einzelabstimmung über die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat zu beantragen.
"Wir wollen ganz präzise gegenüber den einzelnen Personen sagen können, dass wir sie nicht entlasten, weil sie in die Korruptionsaffäre involviert sind", sagte Bergdolt dem Sender n-tv. Sie sehe sowohl von Pierer als auch Kleinfeld "sehr im Feuer stehen".
Vertrauen verspielt
Nach einer Umfrage des "manager magazins" ist das Vertrauen der deutschen Privatanleger in Kleinfeld massiv gesunken. Nur noch 28 Prozent trauten ihm laut der Mitte November und damit kurz nach Bekanntwerden der ersten Korruptionsvorwürfe ausgeführten Befragung zu, den Wert des Unternehmens nachhaltig zu steigern. Drei Monate zuvor waren es noch 52 Prozent.
Neben der Affäre machte das Blatt auch den missratenen Verkauf der Handysparte für den Einbruch der Werte verantwortlich. An der Börse blieb die neue Entwicklung dagegen zunächst ohne Auswirkungen; die Siemens-Aktien wurden am Mittwochmittag im Vergleich zum Dienstag nahezu unverändert zu 73,38 Euro gehandelt.
(dpa | AFP | futurezone)
