Rekordverdächtiger Buchführungsbetrug
Der schwer angeschlagene US-Telekomkonzern WorldCom hat Falschbuchungen von 3,85 Milliarden USD [vier Milliarden Euro] vorgenommen.
WorldCom hat dadurch für das Jahr 2001 und für das erste Quartal 2002 Gewinne verbucht, statt rote Zahlen auszuweisen. Dies hat das Unternehmen am Dienstag nach Börsenschluss mitgeteilt.
Es dürfte sich um eine der schwersten US-Buchführungsbetrügereien handeln. WorldCom könnte nach Ansicht von Wall-Street-Beobachtern der Gang zum Konkursrichter drohen.
Der WorldCom-Aktienkurs ist auf 20 US-Cent eingebrochen. Er hatte Anfang dieses Jahres noch bei 15 USD und 1999 bei 62 USD gelegen. Gleichzeitig wurden heute die internationalen Märkte von WorldCom mit in die Tiefe gerissen:

Vertrauensschwund
Die amerikanische Wertpapier- und Börsenkommission SEC hat ihre bereits laufende WorldCom-Untersuchung intensiviert. Das US- Justizministerium hat nach Darstellung der "Washington Post" eine strafrechtliche Untersuchung eingeleitet.
Die WorldCom-Enthüllungen bilden den jüngsten Höhepunkt einer beispiellosen US-Skandalserie. Sie folgten dem Kollaps des Energiehändlers Enron und der Verurteilung seines Wirtschaftsprüfers Andersen wegen Justizbehinderung.
Hinzu kamen der Konkurs des Telekomunternehmens Global Crossing und der US-Kabelfernsehfirma Adelphia sowie Untersuchungen der Aufsichtsbehörden bei dem Mischkonzern Tyco International und der Biotech-Firma ImClone.
Andersen war bis vor kurzem auch Buchprüfer bei WorldCom gewesen. Andersen betonte, seine WorldCom-Arbeiten hätten sich immer im Einklang mit den SEC- und professionellen Standards befunden. Der neue WorldCom-Rechnungsprüfer KPMG soll jetzt eine Untersuchung der beanstandeten Geschäftsergebnisse vornehmen.
WorldCom hatte durch eine firmeninterne Untersuchung herausgefunden, dass bestimmte Ausgaben als Investitionen verbucht wurden statt als laufende Kosten. Sie können so über viele Jahre abgeschrieben werden, statt sich sofort gewinnmindernd auszuwirken. Diese Maßnahmen standen nach WorldCom-Angaben nicht im Einklang mit den US-Buchführungsregeln [GAAP].

Zu schnell gewachsen
WorldCom sitzt nach 60 Firmenaufkäufen während der neunziger Jahre auf einem Schuldenberg von mehr als 30 Milliarden USD.
Das Unternehmen hatte 1998 den Telekomkonzern MCI gekauft und war bei der Übernahme des US-Telefongiganten Sprint nur am Widerstand der Wettbewerbshüter gescheitert.
WorldCom hat mehr als 20 Millionen Kunden und ist nach AT&T die zweitgrößte US-Ferngesprächsfirma. Sie ist auch eine der weltgrößten Internet-Netzwerkfirmen.

Konsequenzen
WorldCom hat seinen Finanzchef Scott Sullivan sofort gefeuert. Die Gesellschaft will ihre Geschäftsergebnisse für das Jahr 2001 und für das erste Quartal dieses Jahres neu herausgeben und am Freitag mit der Entlassung von 17.000 Mitarbeitern beginnen. Das sind mehr als 20 Prozent der Gesamtbelegschaft.
"Unser Führungsteam ist geschockt", erklärte WorldCom-Chef John Sidgmore. Er hatte den langjährigen Firmenchef Bernard J. Ebbers am 29. April abgelöst. Ebbers schuldet WorldCom mehr als 366 Millionen Dollar für Firmenkredite und Kreditbürgschaften. Die Gesellschaft bleibe lebensfähig, versicherte Sidgmore.
Bei den Bilanztricks handelte es sich für das Jahr 2001 um eine Summe von 3,05 Milliarden USD und im ersten Quartal dieses Jahres um Beträge von 797 Millionen USD. Ohne diese Aktionen wäre der EBITDA-Gewinn für 2001 auf 6,3 Milliarden Dollar und für das erste Quartal 2002 auf 1,37 Milliarden USD reduziert worden. Es wäre für 2001 und für das erste Quartal 2001 ein Nettoverlust angefallen, betonte WorldCom. Stattdessen hatte die Gesellschaft für 2001 einen Reingewinn von 1,4 Milliarden USD und für das erste Quartal 2002 einen Reingewinn von 130 Millionen USD ausgewiesen.