
SPÖ-Konzept für "digitalen Wohlfahrtsstaat"
Die SPÖ hat ein Konzept vorgestellt, mit dem die Partei ihre Position gegenüber dem Netz klären möchte. In der Debatte über das Strategiepapier ging es um die Verteilung der digitalen Dividende, die Vorratsdatenspeicherung und die Frage, wie die Sozialdemokraten ihre Grundwerte ins Zeitalter der digitalen Netzwerke übertragen können.
Am Freitag präsentierten die Sozialdemokraten im Nationalrat den Bericht "Moderne Kommunikationstechnologie im Verständnis der SPÖ", der von einem Team der Partei unter der Leitung von Technologiesprecher Kurt Gartlehner erarbeitet wurde.
Nach einer kurzen Begrüßung durch Klubobmann Josef Cap sprach der im Bundeskanzleramt für Medien zuständige Staatssekretär Josef Ostermayer. Als eines der zentralen politischen Ziele der SPÖ-Medienpolitik bezeichnete er die Überwindung der "digitalen Kluft". Bestimmte Altersgruppen und Bevölkerungsschichten hätten es schwerer, aus den digitalen Kommunikationstechnologien Vorteile zu ziehen als andere. Hier wolle die SPÖ Chancengleichheit herstellen.
Der "digitale Wohlfahrtsstaat"
Ostermayer zufolge soll das kürzlich vorgestellte Kompetenzzentrum IKT bei der weiteren Entwicklung der nationalen Strategie in diesem Bereich eine wichtige Rolle spielen. Das Zentrum, das mit Akteuren aus den relevanten Ministerien und der Wirtschaft besetzt ist, soll alle sechs Monate dem Ministerrat über die wichtigsten Maßnahmen aus dem IKT-Bereich berichten. Die erste Arbeitssitzung werde im März stattfinden.
Gartlehner gab das gesellschaftspolitische Grundkonzept vor: "Wir wollen einen digitalen Wohlfahrtsstaat für das 21. Jahrhundert. Die Menschen sollen sich nicht ausgeschlossen fühlen." Gartlehner sieht "erhebliche Effizienzpotenziale" in Firmen und öffentlicher Verwaltung: "Ich träume davon, dass wir im virtuellen Bereich die Grenzen zwischen Bund und Ländern abbauen und effizienter arbeiten können. Wir haben die Chance, die alten Verwaltungsstrukturen zu überwinden." Er will "einsparen, ohne die demokratische Struktur zu verletzen".
"Wie im 19. Jahrhundert"
Anders als seine Vorredner ging der SPÖ-Abgeordnete Christoph Matznetter das Thema aus historischer Perspektive an. Die digitalen Technologien brächten "gravierende gesellschaftliche Umbrüche" mit sich, vor allem "neue Monopolsituationen", beispielsweise bei Plattformen wie Apples App Store, die den Entwicklern die Rahmenbedingungen diktierten.
Die Sozialdemokratie sei heute mit einer ähnlichen Situation wie im 19. Jahrhundert konfrontiert: "Die Lohnarbeit erodiert. Angestellte sind am Abend eBay-Händler. Die neuen Selbstständigen sind leider nicht gewerkschaftlich organisiert und auch nicht solidarisch." In dieser Situation müsse die Sozialdemokratie "fast wieder ganz von vorn anfangen". Die SPÖ müsse "politischen Druck machen", um allen Menschen Zugang zu den Informationen im Netz zu verschaffen, das Schlüsselwort laute "Partizipation".
Matznetter will darauf hinarbeiten, dass die eigentlichen Produzenten der Inhalte in den digitalen Netzwerken auch von der Wertschöpfung profitieren. Zu diesem Zweck will er die Verwertungsgesellschaften stärken, wie er in der anschließenden Diskussionsrunde sagte, und auch über "Flat Fees" nachdenken.
An diesem Punkt konnte sich Moderator Franz Zeller die Frage nicht verkneifen, ob das bedeute, dass die SPÖ nun für die Einführung einer Kulturflatrate sei. Eine konkrete Antwort blieb Matznetter schuldig, er führte aber als Beispiel für eine gelungene Regulierung in diesem Bereich die Abgabe auf Leerdatenträger an.
Frauenquote und Open Source
Barbara Novak, IKT-Sprecherin der Wiener SPÖ, sprach sich dafür aus, nicht nur die Infrastruktur, sondern auch die Produktion digitaler Inhalte und die Aus- und Weiterbildung zu fördern. Auch die Gleichstellung im IKT-Bereich sei wichtig. Sie forderte eine Frauenquote in Höhe von 40 Prozent in allen politischen Gremien, die mit IKT-Themen zu tun haben, wie die IKT-Taskforce und der Telekombeirat. Diese Forderung steht auch im SPÖ-Strategiepapier.
Martin Prager, stellvertretender Obmann des Fachverbands Unternehmensberatung und Informationstechnologie der Wirtschaftskammer (WKÖ), trat für eine aktive Förderung von Open-Source-Systemen in der öffentlichen Verwaltung ein. Generell sollte die Verwaltung nicht auf proprietäre Systeme setzen, sondern "urheberrechtsfreie internationale Standards" verwenden.
Bürger sollen ihre Daten besitzen
Prager griff auch das heikle Thema Gesundheitsdaten auf: "Es geht nicht um den Elektronischen Gesundheitsakt, sondern um das, was dahintersteht. Wem gehören die Gesundheitsdaten? Sie sollten dem Bürger selbst gehören und sonst niemandem. Erst wenn das klar ist, wird der Elektronische Gesundheitsakt akzeptiert werden." Wichtig sei in diesem Zusammenhang auch ein Diskriminierungsverbot: "Es ist zu respektieren, wenn jemand sagt, dass er nicht will, dass der Apotheker Zugriff auf meine Medikamente hat und in aller Öffentlichkeit mit mir über meine Krankheiten diskutiert."
Dezidiert lehnte Prager die umstrittene Vorratsdatenspeicherung (Data-Retention) ab, in deren Rahmen die Verbindungs- und Handystandortdaten sämtlicher Bürger für sechs Monate gespeichert und auf Anfrage den Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung gestellt werden sollen: "Ich sehe keinen Grund dafür, die Vermittlungsdaten von Millionen aufzuheben." Mit Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags gehörten die Grundrechte zum Primärrecht der EU, die Vorratsdatenspeicherung sei unverhältnismäßig und verstoße gegen die Europäische Grundrechtecharta.
Auf eine Nachfrage aus dem Publikum, die sich auf die freie Verfügbarkeit von Daten im Sinne von Open-Government-Initiativen bezog, sagte Prager: "Alle Daten, die in der öffentlichen Verwaltung da sind und Vorgänge widerspiegeln, die den Bürger betreffen, sollten öffentlich verfügbar gemacht werden."
SPÖ für Infrastrukturgesellschaft
Nach Prager sprach August Reschreiter, Kabinettschef von Infrastrukturministerin Doris Bures (SPÖ). Er sprach unter anderem über die anstehende Vergabe der digitalen Dividende, also jener Frequenzen, die nach Abschaltung der analogen TV-Sender frei geworden sind. Hier konkurrierten die Mobilfunker mit der Sendetechnikfirma ORS, die teils zum ORF, teils zum Raiffeisen-Konzern gehört. "Wir haben hier eine große Neigung, den Mobilfunkern unter die Arme zu greifen", sagte Reschreiter. "Die frei werdenden Frequenzen sollen an die Mobilfunker gehen."
Auch die Rundfunkinteressen seien gerechtfertigt. Allerdings würden die Frequenzen an den Rundfunk verschenkt, während sie im Telekombereich versteigert werden könnten. Es werde "sicher" im Lauf dieses Jahres zu einer Entscheidung über die Zuteilung der Frequenzpakete kommen.
Was das Festnetz angeht, steht im Strategiepapier, dass die SPÖ "zur Sicherung der Grundversorgung zu nicht diskriminierenden Bedingungen" für die "funktionale Trennung" und die "Schaffung einer eigenen Gesellschaft" eintrete, die möglichst alle IKT-Infrastruktur bündelt und gemeinsam ausbaut. Damit sei "ein Instrument gegeben, das allen Marktteilnehmern und Bürgern die Nutzung der IKT-Investitionen ermöglicht".
Die Regulierungsbehörde RTR sah die im Rahmen des EU-Telekompakets geschaffene Möglichkeit der funktionalen Abtrennung der Infrastruktur von Ex-Monopoltelekoms immer als letztes Mittel an, zu dem man nur dann greifen sollte, wenn alle anderen Maßnahmen zur Herstellung des Wettbewerbs versagt hätten.
Mobilfunker in der Krise
In der darauffolgenden Panel-Diskussion forderte die IT-Beraterin Caroline Simonitsch eine engere Vernetzung zwischen Entscheidern in der Politik und Experten. Die Wertschöpfung liege nicht nur in der Infrastruktur, sondern im Kreativbereich. IKT erschöpfe sich nicht in E-Government und E-Health, wobei die Nutzung dieser Angebote von staatlicher Seite her ohnehin zu optimistisch dargestellt werde. "E-Government kommt in der Bevölkerung nicht an", so Simonitsch.
Ein weiteres Problem sah die Beraterin im Preiskampf der Mobilfunker: "Früher war Österreich im Mobilfunk führend. Heute sagen alle im Ausland: Seid ihr deppert? Der Preiskampf zerstört Innovationen. Die Mobilfunker sind krampfhaft mit dem Überleben beschäftigt."
Diese Trendumkehr schlägt sich laut Strategiepapier der SPÖ auch auf dem Arbeitsmarkt nieder. Dort rechnen die Autoren vor, dass im Jahr der Liberalisierung in den Telekom-Infrastrukturunternehmen rund 20.600 Personen, darunter allein 17.000 in der Telekom Austria, beschäftigt waren. Bis zum Jahr 2000 sei die Anzahl der Arbeitnehmer in diesem Sektor auf knapp 27.000 gestiegen, aber seither stetig im Sinken begriffen. Nüchternes Fazit: "Derzeit bieten die Telekomunternehmen etwa 16.000 Menschen Arbeit."
TA vs. T-Mobile
Für die Telekom Austria (TA) forderte Technikchef Walter Goldenits Investitionsanreize von der Politik. "Wir müssen einen gemeinsamen Kraftakt setzen", so der TA-CTO. Die Telekom Austria werde in den kommenden drei Jahren rund 750.000 Haushalte im ländlichen Raum mit Breitbandanschlüssen versorgen. Der Datenverkehr im TA-Netz verdopple sich derzeit jährlich. In Österreich würden weiters bereits 75 Prozent der Sprachtelefonie über den Mobilfunk stattfinden - in Deutschland seien es nur 25 Prozent. Allerdings stagniere der wirtschaftliche Erfolg im Mobilfunk derzeit.
Robert Chvatal, Chef von T-Mobile Austria, sah in der Diskussion über den Breitbandausbau den Mobilfunk vernachlässigt: "Wir reden nur über Glasfaser und tun so, als ob die TA der einzige Retter des Landes sei. Das ist nicht der Fall. Zum Kernnetzwerk gehört nicht nur das Glasfasernetz, sondern auch die nächste Generation des Mobilfunks."
Wie Simonitsch geißelte auch Chvatal den Preiskampf: "Wir sind in Österreich ein Running Gag der Branche geworden. Wir haben eine beispiellose Wertevernichtung im Mobilfunk." Die Preise im mobilen Breitband seien stark gefallen, während jene für die Mietleitungen gleich geblieben seien: "Wir sind abhängig von der TA." Von der Politik forderte Chvatal Klarheit darüber, wie es mit der Frequenzvergabe weitergehen solle. "Vorher ist es schwer zu investieren", so der T-Mobile-Chef.
Fehlende Punkte
Die Mitautoren des Strategiepapiers betonten im Verlauf der Diskussionen wiederholt, dass das vorgestellte Dokument nicht den endgültigen Stand der Debatte abbilde. Die Dynamik der Branche erfordere es, sich ständig den neuen technischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten anzupassen. Eine weitere Klärung der Positionen der SPÖ wird auch in naher Zukunft dringend notwendig sein. Im Strategiepapier fehlen beispielsweise deutliche Stellungnahmen zum grundlegenden Thema der Netzneutralität, obwohl sich das Thema der Chancengleichheit wie ein roter Faden durch das ganze Dokument zieht.
Auch der heikle Themenkomplex Copyright wurde nicht angetastet. Man könnte fragen, was der millionenschwere Ausbau der Infrastruktur nützt, wenn die Konsumenten anschließend ohne weiteres mit "Three Strikes"-Maßnahmen vom Netz abgeknipst werden können. Auch Ansätze zu Open-Government-Initiativen wie jenen in den USA und Großbritannien sind über die Forderung nach Verwendung offener Standards in der Verwaltung nur angeschnitten, aber nicht ausformuliert.
Auch die grundlegende Frage, als was die Politik das Netz eigentlich auffasst - als schützenswerten öffentlichen Raum oder als Shopping-Mall mit E-Government-Infostand im Seitenflügel -, wird im Strategiepapier der SPÖ noch zu zaghaft behandelt.
(futurezone/Günter Hack)