Freie Software für freie Bürger
Freie Software ist nicht mehr nur ein Geheimtipp unter Freaks, sondern zusehends auch für den öffentlichen Sektor interessant.
Hersteller-Unabhängigkeit, ein vielfältigeres Angebot, mehr Sicherheit und geringere Kosten sind die Gründe, warum immer mehr Behörden und öffentliche Einrichtungen ihre EDV auf freie Software umstellen oder zumindest einmal darüber nachdenken. München war die erste große Kommune, die sich dazu entschlossen hat. Das Projekt hat Signalwirkung für viele andere Städte, noch dazu, wo Microsoft im Umland von München seine Europa-Zentrale hat.
Ude kontert Gates
Vor wenigen Monaten kam Microsoft-Gründer Bill Gates nach München, um eine Rede zu halten. Als der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude danach mit ihm zum Flughafen fuhr, kam es im Auto zu einer heftigen Diskussion.
Bill Gates wollte nicht verstehen, warum die Stadt München von Windows auf freie Software umsteigen will - trotz eines Super-Angebotes von Microsoft bei den Lizenzgebühren, das ein Umdenken bewirken sollte. Ude versuchte Gates zu erklären, dass die Unabhängigkeit wichtiger sei. Bill Gates wurde daraufhin aggressiv und fragte: "Independence from who?". Oberbürgermeister Ude antwortete: "Independence from you!"
Weniger Kosten, mehr Freiheit
Durch die Einführung von freier Software spart sich die Stadt München auf fünf Jahre gerechnet zwei bis vier Millionen Euro bei einem Gesamtvolumen von rund 30 Millionen Euro. Die Kosten waren sicherlich ein Punkt, aber nicht der wichtigste, so Peter Hofmann, Leiter des Münchner Linux-Projektes "Limux". Die Stadt wollte einfach mehr Auswahl bei den Anbietern, die Programme auf die eigenen Bedürfnisse maßschneidern können und die Sicherheit der sensiblen Bürgerdaten garantieren.
Risiko Softwarepatente?
Die Migration auf Limux hat im April dieses Jahres begonnen, die PCs der Mitarbeiter werden Anfang 2006 umgestellt. Dabei wird garantiert, dass die Stadtverwaltung über die gesamte Umstellungsphase ungehindert weiterarbeiten kann und die Bürger ihre Amtswege wie gewohnt erledigen können. In einigen Monaten wird die Stadt München also zur Metropole der freien Software werden.
Vor etwa einem Jahr hatte es aber fast so ausgesehen, als ob das Projekt auch scheitern könnte. Der Grund war die Diskussion um die geplante Softwarepatent-Richtlinie der Europäischen Union. Eine Studie ergab dann aber, dass das Risiko, wegen der Verletzung von Software-Patenten geklagt zu werden, bei Freier Software und proprietärer Software gleich hoch ist. Der Unterschied ist nur, dass große Konzerne das Risiko mit einem Nicht-Angriffspakt minimieren, die Freie Software-Community aber keine entsprechende Lobby hat.
Wienux - Linux für die Stadt Wien
Nach München und Paris hat sich auch die Stadt Wien entschlossen, für die Stadtverwaltung freie Software einzusetzen, wenn auch in kleinerem Umfang, als München. "Wienux" basiert auf der Linux-Distribution "Debian" und wurde von Mitarbeitern der MA 14 - ADV auf die Bedürfnisse der Stadtverwaltung angepasst. Ausserdem wird "Open Office.org" eingeführt.
Wienux und Open Office werden derzeit getestet und stehen in Kürze zur Verfügung. Open Office soll flächendeckend eingeführt werden, das Betriebssystem wird schrittweise und auf Basis der Freiwilligkeit umgesetzt. Das heißt, die Leiter der einzelnen Dienststellen können gemeinsam mit ihren EDV-Verantwortlichen entscheiden, ob und wann sie Wienux einsetzen können und wollen. Spezielle Computerprogramme wie der "Elektronische Akt", die derzeit noch nicht auf dem Betriebssystem Linux laufen, sollen in Zukunft darauf zugeschnitten werden.
Für den 5. Juli ist ein Wienux-Tag in der Wiener Hauptbücherei geplant, bei dem alle Mitarbeiter das neue Betriebssystem und andere Linux-Versionen kennenlernen können. Vielleicht kommt dabei so mancher auf den Geschmack, freie Software auch daheim einzusetzen. Brigitte Lutz meint, dass ein größeres Angebot, wie es sich mit freier Software bietet, gut sei, weil es die Konsumenten stärke.

Krankenschein mit Pinguin
Freie Software ist aber nicht nur für Stadtverwaltungen interessant, sondern für den gesamten Verwaltungsbereich. Andreas Trawöger, Mitarbeiter in der EDV-Abteilung der Wiener Gebietskrankenkasse, sieht einen großen Vorteil vor allem in der Offenheit. In der Gebietskrankenkasse würden sehr unterschiedliche Systeme verwendet - vom Mainframe bis zum ganz normalen PC. Als Verbindung zwischen diesen Systemen habe sich Open Source Software sehr gut bewährt - auch, weil sie nicht an bestimmte Hardware gebunden sei. Vor allem bei Neuentwicklungen, so Andreas Trawöger, würde verstärkt freie Software eingesetzt. So würden bei der neuen e-card, also dem elektronische Krankenschein, für den Großteil der Infrastruktur Linux, Apache, Java oder Webstandards eingesetzt.
Bundestux
Freie Software hat für den öffentlichen Sektor offenbar viele Vorteile und nur geringe Risiken, die eher mit dem noch kleinen Markt zusammenhängen. Markus Beckedahl, Geschäftsführer der Firma "New Thinking Communications" in Berlin und Aktivist in Sachen freie Software und freier Content, meint deshalb, dass es die Pflicht des Staates sei, freie Software zu fördern. Beckedahl und andere hatten deshalb vor drei Jahren die Aktion "Bundestux" gestartet.
Sie wollten damit erreichen, dass der Linux-Pinguin namens Tux sozusagen im Bundestag einen Lebensraum bekommt. Die Petition wurde innerhalb eines Monats von 30.000 Menschen unterschrieben und erreichte, dass die Server-Infrastruktur des Bundestags auf Linux migriert wurde und der Mozilla-Browser eingesetzt wird.
Positiv sei auch, dass einige Verwaltungen auf freie Software umstellen und ein virtuelles Kompetenzzentrum des Bundes eingerichtet wurde, das Behörden Informationen für den Umstieg anbietet. Das sei aber immer noch zu wenig, so Markus Beckedahl. Die Förderung von Freier Software bedeute auch eine Schaffung von Arbeitsplätzen. Deutschland habe die meisten Entwickler in diesem Bereich. Die würden aber oft nur während ihrer Zeit an der Uni programmieren und dem Markt später verloren gehen, weil es zu wenige Firmen in diesem Bereich gäbe.
Heute 22:30 im Ö1-Magazin matrix
Sonja Bettel berichtet über Praxiserfahrungen von Verwaltungen
und über ein Forschungsprojekt zum Einsatz von Linux in der Schule.

