Die Justiz, der Imam und die NSA
Mit Justizminister Alberto Gonzales hat die US-Regierung den obersten zivilen Progagandisten der NSA-Totalüberwachung verloren. Ausgerechnet ein bereits zur Haft verurteilter Imam könnte die Herausgabe bisher geheimer Regierungsdokumente erzwingen, die das Ausmaß offenbaren.
Nachdem bekanntgeworden war, dass der Supergeheimdienst NSA seit Jahren an den zentralen Netzknoten des größten US-Carriers AT&T groß dimensionierte Überwachungsanlagen betreibt, hatte Gonzales das Programm vehement verteidigt.
Gonzales war es auch, der das NSA-Programm innerhalb der Regierung durchgeboxt hatte und dabei auch nicht vor rüden Methoden zurückgeschreckt war.
Nachdem sich sein Vorgänger als Justizminister, John Ashcroft, 2004 geweigert hatte, das umstrittene Überwachungsprogramm zu verlängern, erschien Präsidentenberater Gonzales trotz Besuchsverbots am Krankenbett des frisch Operierten.
Indoktrination am Krankenbett
Nach Aussagen eines hohen Beamten vor einem Kongressausschuss war Ashcroft während dieser Indoktrination mehrere Male ohne Bewusstsein. Einen Tag vor Ablauf der Frist wurde die Lizenz zur Totalüberwachung an den zentralen Routern von AT&T dann verlängert, die von hohen Ministerialbeamten angekündigte Rücktrittswelle blieb aus.
Der Lohn für diese Aktion in letzter Minute: Gonzales folgte Ashcroft als Justizminister - Amtstitel ist "Attorney General", also Generalstaatsanwalt - nach, gegen AT&T aber laufen in dieser Affäre Sammelklagen auf dem Zivilweg.
Aus dem Nähkästchen der NSA
Es könnten bald noch mehr Betreiber von Daten- und Telefonienetzen der Carrier-Klasse betroffen sein, denn US-Präsident George W. Bushs oberster Geheimdienstkoordinator Mike McConnell hat in der vergangenen Woche überraschend aus dem Nähkästchen geplaudert.
Der private Sektor habe natürlich bei der Überwachung kooperiert, denn um Zugang zu Daten zu bekommen, brauche es natürlich "Partner", sagte McConnell zur "El Paso Times".
Der Spionagekoordinator versprach, sich weiterhin dafür einzusetzen, dass die betreffenden Carrier Immunität gegen Klagen zugesichert bekämen. Eben das hatte aber der US-Kongress bereits mehrheitlich abgelehnt.
Die Sammelklagen
Die Ausführungen McConnells stehen ganz im Gegensatz zur bisherigen Informationspolitik der US-Regierung, die auch vor Gericht unter Berufung auf Staatsgeheimnisse jede derartige Aussage verweigert hat.
Dass die Regierung schon bald zu näheren Auskünften gezwungen sein dürfte, zeigt der Prozessverlauf in der Sammelklage der Electronic Frontier Foundation gegen AT&T.
Der schwache Punkt
Richter Vaughn Walker lehnte die Anträge der Regierung und der betroffenen Carrier auf Einstellung des Verfahrens ab.
Der schwache Punkt, den alle Sammelklagen freilich gemeinsam haben, ist, dass es die Kläger angesichts der bisherigen Geheimhaltungspolitik schwer haben, nachzuweisen, dass sie von der Überwachung betroffen waren.
Der Fall SWIFT
Die Informationslage ist ganz ähnlich wie im Fall der internationalen Finanzdatenzentrale SWIFT, die durch Verfügungen des US-Finanzministeriums gezwungen wurde, eine Unzahl an Datensätzen weiterzugeben.
Hier wie da betonen die US-Behörden stets, dass es sich sozusagen um chirurgische Eingriffe handle, nur eine kleine Anzahl an Daten würde weitergegeben und durchsucht.
Der Imam
Ausgerechnet ein bereits zu 15 Jahren Haft verurteilter muslimischer Geistlicher, dessen Fall exemplarisch zeigt, was im US-Justizsystem der Bush-Regierung möglich ist, könnte Licht in die Affäre bringen.
Wie die "New York Times" am Sonntag berichtete, wurde auf den Imam einer Moschee im US-Bundesstaat New York ein Agent provocateur mit kriminellem Hintergrund angesetzt. Der überredete den Geistlichen, an einer vom FBI inszenierten Geldwäscheaktion zur Terrorfinanzierung mitzuwirken.
Das Ergebnis im darauf folgenden Prozess waren 15 Jahre Haft für den Imam, seinen Verteidigern wurde die Einsicht in die Transkripte abgefangener Telefonate unter Berufung auf die nationale Sicherheit verwehrt.
Das Staatsgeheimnis
Als ganz besonderes Staatsgeheimnis gehütet wird nämlich das wahre Ausmaß der Überwachung in den Datenzentren der großen US-Carrier. Bekannt ist nur, dass jährlich auf rein administrativem Weg, also ohne Gerichtsbescheid, um die 2.000 einstweilige Überwachungsverfügungen [Subpoenas] ausgestellt werden.
Wie breit sie angelegt und wie viele US-Staatsbürger davon betroffen sind, ist nicht bekannt.
Die Mülltrennung
Das technische Setup der NSA für die automatisierte Überwachung des Internet-Verkehrs sagt das genaue Gegenteil, nämlich dass der gesamte Datenverkehr im Stil einer Mülltrennungsanlage behandelt wird.
Die eingesetzte Datenanalyse-Technologie verarbeitet den Zehn-Gigabit-Verkehr von Hochleistungsrechenzentren hart an der Echtzeit. Der komplette Datenverkehr wird auf eine Glasfaserleitung kopiert, dann von überflüssigen Verkehrsdaten "gesäubert" und auf ganze Kaskaden von NSA-Rechnern zur Voranalyse verteilt.
Der Admiral
Über das Ausmaß der oben zitierten Fälle weiß McConnell, der gegenüber der "El Paso Times" erklärt hatte, die laufende Diskussion werde mit Sicherheit einige US-Bürger das Leben kosten, schon von seiner Berufslaufbahn her aus erster Hand Bescheid.
Der nunmehrige oberste US-Geheimdienstkoordinator war davor in der Geschäftsführung der IT-Beraterfirma Booz Allen Hamilton als Sicherheitsexperte für Banken- und Finanznetze tätig.
Die NSA
Booz Allen wacht im Fall von SWIFT als "externer, unabhängiger Berater" seit Jahren darüber, dass von den US-Behörden europäische Datenschutzgesetze eingehalten werden. Davor war McConnell im Range eines Admirals Direktor des Supergeheimdienstes NSA.
(futurezone | Erich Moechel)
