Nachdenken über die New Economy
Das "Cluetrain"-Manifest begann als private E-Mail-Korrespondenz, bei der vier Amerikaner untereinander ihre Ansichten über die New Economy austauschten.
Die vier Korrespondenzteilnehmer - der Softwareentwickler Rick Levine, der Internet-Consultant Christopher Locke, der Journalist Doc Searls und der Marketingspezialist David Weinberger - hatten über lange Jahre praktische Erfahrungen, unter anderem bei IBM, Sun Microsystems und dem "Linux Journal", gesammelt.
Auf der Grundlage dieser Erfahrungen zogen Levine, Locke, Searls und Weinberger den Schluss, dass die High-Tech-Industrie und viele Unternehmen der New Economy die durch das Internet ausgelösten radikalen Umwälzungen auf dem Gebiet der Betriebsführung, der Kommunikation und des Marketings noch nicht verstanden haben.
Ein Digest der E-Mail-Korrespondenz
wurde schließlich in Form einer Website unter dem Namen "Cluetrain"-Manifest veröffentlicht. Hier einige der Kernthesen:
Märkte sind Gespräche.
Die Märkte bestehen aus Menschen, nicht aus demographischen Kategorien.
Gespräche zwischen Menschen klingen menschlich. Sie werden mit menschlicher Stimme geführt.
Durch das Internet kommen Menschen miteinander ins Gespräch, das war im Zeitalter der Massenmedien undenkbar.
Dabei werden die Märkte intelligenter, sie sind besser informiert und sie organisieren sich von alleine.
Die Unternehmen äußern sich nicht mit der Stimme der neuen, vernetzten Gespräche. In den Ohren ihrer Zielgruppen klingen sie hohl, es ist die Stimme des Unmenschen.
Schon bald wird uns die gängige Stimme des Geschäftslebens, die Sprache der Corporate Identity und der Prospekte, so affektiert vorkommen wie die Sprache der barocken Fürstenhöfe.
Wer noch glaubt, die Online-Märkte seien dieselben, die einst ihre Fernsehwerbung ertragen haben, macht sich etwas vor.
Vernetzte Märkte wechseln ihre Lieferanten und vernetzte Wissensarbeiter ihren Job über Nacht. Es ist übrigens die Sucht der Unternehmen zum Downsizing, welche die Menschen provoziert: "Treue, wovon redet ihr eigentlich?"
Um die menschliche Stimme wiederzugewinnen, muß das Unternehmen die Besorgnisse seiner Kunden teilen. Die Kunden verbinden sich zu Gemeinschaften aus Menschen mit ähnlichen Bedürfnissen [Communities].
Der wichtigtuerische Jargon, den ihr auf Konferenzen und in der Presse um euch werft, was hat der mit uns zu tun?
Vielleicht beeindruckt ihr die Geldgeber. Aber nicht uns.
Gegen Werbung sind wir immun. Die könnt ihr vergessen.
Unser neuer Diskurs ist spannender als fast alle Messen, unterhaltsamer als jedes Fernsehen und ganz bestimmt lebensnaher als die Websites und Drucksachen, die ihr uns zumutet.
Wir sind aufgewacht und verbinden uns miteinander. Wir beobachten. Wir warten nicht.

In den USA sorgte das "Cluetrain Manifesto" im Frühjahr 1999 für große mediale Aufregung und angeregte Diskussionen.
Es dauerte ein geschlagenes Jahr bis das Manifest auch in den deutschsprachigen Raum vordrang und das alternative Hamburger Wirtschaftsmagazin "Brand Eins" seine Kernthesen einer größeren Öffentlichkeit vorstellte.
Das Cluetrain Manifest
Rick Levine, Christopher Locke, Doc Searls, David Weinberger
287 Seiten, Econ Verlag, München 2000
ISBN: 3430159679
DM 36, ATS 260
Levine, Locke, Searls und Weinberger spielen mit ihren "95 Thesen" bewußt auf Martin Luther an. Der religiös gefärbte, mitunter pathetische Ton des "Cluetrain"-Manifests hat nicht nur Kritiker, sondern auch Satiriker auf den Plan gerufen, die den pastoralen Gestus und die hochgestochene Sprache im
