27.12.2000

COPY CULTURE

Das Ende des Copyrights

Der kalifornische Kulturwissenschaftler Hillel Schwartz hat ein Buch über das Verhältnis von Original und Kopie veröffentlicht, in dem er zu dem Schluss kommt, dass wir seit langem in einer "Kultur des Kopierens" leben.

Schwartz spannt in seinem Buch "Déjà Vu. Die Welt im Zeitalter ihrer tatsächlichen Reproduzierbarkeit" einen großen thematischen Bogen und berichtet von Kopien, Nachahmungen, Fälschungen, Zwillingen, Doppelgängern, Placebos, Doubles und Stuntmen, Tarnen und Täuschen, Duplikaten, Simulationen, Spiegeln, Puppen und Androiden.

Gegenwart und Zukunft - Klone, Meme und virtuelle Realität - werden dabei ebenso beleuchtet wie die Vergangenheit. Besonders eindrucksvoll schildert Schwartz die Entstehung militärischer Camouflage und die technischen Ursprünge von Kopiermaschinen.

Die "Originalausgabe" des Buches erschien 1996 bei Zone Books in New York unter dem ungleich griffigeren Titel "The Culture of the Copy". Schwartz konnte darin noch nicht das Phänomen von MP3-Files und digitalen Tauschbörsen à la Napster berücksichtigen, er geht aber bereits sehr kundig auf das Phänomen des Samplings ein und äußert sich weitsichtig zur Unhaltbarkeit des traditionellen Copyrights in Anbetracht der digitalen Vervielfältigung:

Hillel Schwartz über Copyright & elektronische Medien

"Durch weitere hervorragende Kopiermaschinen - den Computer, den digitalen Scanner und den Farbdrucker - in dreifache Bedrängnis geraten, verteidigt das Copyright nun eine Würde, die mit den neuen elektronischen Medien vollends unvereinbar ist. Anwälte, die das Copyright für Software, Algorithmen, neuronale Netze oder Datenbanken sichern, vermengen das private Monopol mit dem öffentlichen Wohl, Marktwirtschaft mit Moral, individuelle Handschrift mit gesellschaftlicher Wirkung. Je immaterieller oder bedingter ein Original ist, desto häufiger wird das Copyright zwischen der mühseligen Nachbildung S/t/r/i/c/h-f/ü/r-S/t/r/i/c/h und der sofortigen Aneignung mit elektronischen Mitteln zerrieben werden. Die Schreiber des Mittelalters kannten jede Textzeile, ebenso ihre seltenen Nachkommen, die Notenkopisten, die nach wie vor Stahlfedern in Tintenfässer tauchen, um vier oder fünf Seiten [40 bis 50 Notenzeilen] in der Stunde auf schweres Papier zu kopieren, das nicht von einem Notenständer rutscht. Die Angestellten in einem Copyshop nehmen dagegen kaum noch wahr, was sie da auf ihrem Xerox 5090 mit einer Geschwindigkeit von 135 Blatt in der Minute kopieren. Texterfasserinnen verlieren den Akt des Abschreibens völlig aus dem Auge, wenn sie mit einem einzigen Tastendruck den Text auf einer Diskette speichern. Nach dem Copyright sollte der Kreis um das © ein Umfassen und Einschließen zugleich bedeuten, den Schöpfer belohnen und die legitimen Exemplare des Werkes schützen. Wenn das Kopieren allerdings zur zweiten Natur wird, erinnert der Kreis eher an eine Schlange, die sich in den Schwanz beißt."

Hillel Schwartz

"Déjà Vu. Die Welt im Zeitalter ihrer tatsächlichen Reproduzierbarkeit",

441 Seiten, Aufbau Verlag, Berlin 2000,

ISBN 3-351-02500-9,