Natacha Merritts "Digitale Tagebücher"
Natacha Merritt bezeichnet sich selbst kokett als "Digital Girly". Und tatsächlich wäre ihre Karriere ohne digitale Fototechnik und Internet nicht vorstelllbar.
Vor vier Jahren begann die heute 22-jährige Amerikanerin ihre sexuellen Begegnungen und Erfahrungen mit einer Digitalkamera zu dokumentieren.
Sie entwickelte dabei ihren eigenen Arbeitsstil: Statt mit Selbstauslöser arbeitet sie zumeist mit ausgestreckter Hand. Auf diese Weise erforscht sie ihren Körper und die Sichtweisen, wie ihr Körper von außen, das heißt: von anderen gesehen wird.
Merritt lotet mit ihren Porträts die Grenzen zwischen Natürlichkeit und Pose, Fotokunst und Pornografie aus. An die Stelle von Kunsttheorie und fototechnischem Wissen setzt sie praktische Erfahrung.
Bewunderer loben diesen unbeschwerten Zugang Merritts bei der Darstellung von Körperlichkeit und Sexualität: Ihre Fotos würden roh, amateurhaft und ungekünstelt wirken, zugleich aber eine starke künstlerische Kraft besitzen.
"My photo needs and my sexual needs are one and the same"
"mein ganzes denken und fühlen, früher schrieb ich es auf. sobald
ich eine digitalkamera hatte, hörte ich auf zu schreiben und
zeichnete mein denken und fühlen mit fotos auf. mein leben ist zu
einem haufen digitaler fotos geworden an stelle eines haufens
schriftlich fixierter gedanken. meine erste kamera war eine casio
Q.V. 110. sie war die erste digitalkamera für normalverbraucher, die
auf den markt kam. ich war 18 jahre und im begriff, ein jurastudium
zu beginnen. innerhalb weniger wochen war ich fotografiersüchtig.
intim, unmittelbar, autonom, billig, schnell ... ich verliebte mich
in meine neue kunstform. es scheint nur natürlich, dass sie eine
solche rolle in meinem privatleben erlangte ... die technologie
wurde immer besser. meine fotografischen 'fähigkeiten' wurden immer
besser. ich wollte immer mehr von meinen kameras. meine technischen
ansprüche wurden immer höher [ich wollte mehr manuelle kontrolle,
eine höhere auflösung, ladezeit, blitzsynchronisation usw.]. jedes
mal, wenn ich über eine kamera hinauswuchs, kam ein neues, besseres
modell auf den markt. ungeduldig warte ich auf mein neues
'spielzeug' [ich hab wohl schon zehn modelle hinter mir]."

Öffentlichkeit und Intimität
Merritts fotografisches Gesamtwerk umfasst heute Abertausende von Fotos und Schnappschüssen. Den Tagebuchcharakter ihrer Arbeit unterstreicht Merritt, indem sie ihre Fotos laufend im Web publiziert.
Übers Internet ist auch der bekannte New Yorker Fetisch-Fotograf Eric Kroll auf Merritt aufmerksam geworden. Nach einer elektronischen Kontaktaufnahme hat Kroll die Amateurfotografin persönlich kennen gelernt und sie in der Folge auch seinem Verleger Benedikt Taschen vorgestellt.
Das Resultat dieser Begegnung ist der Fotoband "Digital Diaries", der vor kurzem im "Taschen Verlag" erschienen ist. Neben einer Auswahl aus Merritts fotografischem Werk beinhaltet das Buch auch Auszüge aus ihren Aufzeichnungen und ihrer E-Mail-Korrespondenz.
Natacha Merritt bei der "Ars Electronica"
Das fotografische Werk von Natasha Merritt zeichnet sich durch
die enge Verknüpfung von Öffentlichkeit und Intimität auf der einen
und Sexualität und Technologie auf der anderen Seite aus. Vor allem
die Art und Weise, wie sexuelle und technische Erfahrungen bei
Merritt parallel laufen, hat auch das Interesse der "Ars
Electronica"- Veranstalter geweckt. Die "Ars" steht heuer unter dem
Motto "Next Sex". Natacha Merritt wird ihre "Digitalen Tagebücher"
vom 2. bis 7. September [jeweils von 10.00 bis 19.00 Uhr] im Linzer
Brucknerhaus zeigen, am kommenden Sonntag [3. September, 16.30 -
17.15 Uhr] wird sie auch am Symposium ["Sex im Zeitalter seiner
reproduktionstechnischen Überflüssigkeit"] teilnehmen.

