Napster-Aufschub bis Mitte September
Der Andrang auf die amerikanische Online-Musiktauschbörse Napster hat nach dem Aussetzen des Verbots der MP3-Tauschbörse am Wochenende angehalten.
Nach dem Strafaufschub, den Napster wenige Stunden vor dem gerichtlich angeordneten Abschalten erhalten hatte, sei die Besucherzahl der Napster-Website um das Vier- bis Fünffache angestiegen, teilte Allen Tsai von Keynote Systems, einem auf die Schätzung von Internet-Nutzung spezialisierten Unternehmen mit.
Ein Berufungsgericht hatte Freitag Abend in San Francisco den Beschluss einer Bezirksrichterin ausgesetzt, die das Ende der MP3-Tauschbörse in erster Instanz wegen der Verletzung von Urheberrechten für Samstag 00.00 Uhr Ortszeit [09.00 Uhr MESZ] angeordnet hatte.
Das Gericht setzte Napster eine Frist bis zum 18. August, um seine Position schriftlich zu begründen. Der Verband der Musikindustrie RIAA hat demnach bis zum 8. September Zeit, weitere Argumente für die Schließung der Website vorzulegen.
Darauf müssen wiederum die Napster-Anwälte bis zum 12. September antworten. Erst dann folgt das eigentliche Verfahren. Zu einer weiteren Entscheidung wird es damit voraussichtlich nicht vor Mitte September kommen.
Chronologie eines Online-Thrillers
Nach einer Klage der Musikindustrie hatte am vergangenen Mittwoch
ein Gericht entschieden, Napster verletze in großem Umfang das
Urheberrecht und müsse sein Online-Angebot bis Freitag um
Mitternacht [Samstag 09.00 Uhr MESZ] einstellen. Die Anwälte der
Musiktauschbörse legten daraufhin Berufung gegen das Urteil ein, das
praktisch die Schließung der Firma bedeutete. Nach der Entscheidung
vom Mittwoch hatten viele der mehr als 20 Millionen Nutzer von
Napster wie wild damit begonnen, Files über den Napster-Server
herunterzuladen. Die Rechner von Napster erlebten nach Firmenangaben
den größten Ansturm in der Geschichte des Unternehmens. Nach Angaben
des Nachrichtensenders CNN schickten Napster-Fans auch 75.000
E-Mails ab und protestierten gegen die bevorstehende Schließung.

Reaktionen von Napster und RIAA
Napster-Anwalt Daniel Johnson begrüßte die
Entscheidung des Gerichts. Johnson sagte, die beiden Richter hätten ihr Urteil unter anderem mit der Schwierigkeit für Napster begründet, aus der Vielzahl der Musikstücke alle urheberrechtlich geschützten Werke herauszufiltern.
Die Firma werde nun vorerst wie bisher ihr Online-Angebot aufrecht erhalten. Napster-Gründer Shawn Fanning erklärte auf der Homepage der Firma, die gestartete Protestaktion solle trotz des juristischen Sieges weiter gehen. Napster hatte seine Nutzer dazu aufgerufen, nur CDs von Künstlern zu kaufen, die das Internet-Tauschsystem unterstützen ["Buycott"].
Der US-Musikindustrieverband RIAA, der
gegen Napster geklagt hatte, bezeichnete den Beschluss dagegen als "Enttäuschung". RIAA-Präsidentin Hilary Rosen nannte die Gerichtsentscheidung "frustrierend". Nun gebe es weiterhin Millionen von Copyright-Verletzungen.

Bertelsmann-Vorstand gibt Kampf verloren
Der Tausch von Musikdaten über das Internet würde nach Ansicht von Andreas Schmidt, Vorstand der Bertelsmann E-Commerce Group, auch bei einem gerichtlichen Stopp von Musik-Tauschbörsen wie Napster ungebremst weitergehen.
"Wo Nachfrage ist, ist immer auch ein Angebot", sagte Schmidt heute. Napster habe Musikfans dazu verleitet, illegal Musik auszutauschen. Die Internet-Börse habe aber auch gezeigt, dass die Zukunft der Musikdistribution in der Digitalisierung liege.
"Die Musikindustrie muss schleunigst digitale Musik in sicheren, kopiergeschützten Formaten zur Verfügung stellen, damit die Nachfrage der Konsumenten befriedigt werden kann", sagte Schmidt.
"Bringschuld gegenüber dem Markt"
Die großen Unternehmen stünden dabei in einer Bringschuld
gegenüber dem Markt, die bislang nicht erfüllt worden sei. "Solange
dies nicht geschieht, wird kein Gericht der Welt die illegale
Nutzung der Daten über Napster oder den nächsten effektiv stoppen
können", sagte Schmidt.

MP3.com einigt sich auch mit EMI
Neuigkeiten gibt es auch in Sachen MP3.com. Das um seine Legalisierung bemühte Unternehmen hat sich demnach mit dem Musikkonzern EMI in Fragen des Urheberrechtsschutzes geeinigt.
Es ist die dritte Einigung mit einem der fünf großen Unternehmen, die MP3.com ähnlich wie Napster wegen Missachtung der Urheberrechte verklagt hatten.
Zuvor gab es schon Vereinbarungen mit Warner Music und BMG, mit Sony Music und Universal Music wird derzeit noch verhandelt. Ein Prozess ist aber trotzdem weiter möglich.
Ein Richter erklärte am Freitag, es müsse geklärt werden, ob MP3.com absichtlich gegen Urheberrechte verstoßen habe, als es seinen Kunden erlaubte, ihre Musik auf den Rechnern des Unternehmens zu speichern. Möglicher Prozesstermin ist der 28. August.
20 Millionen Dollar Schmerzens- und Schweigegeld
MP3.com-Chef Michael Robertson erklärte, er hoffe immer noch,
dass es eine außergerichtliche Einigung gebe und der Prozess
abgewendet werden könne. "Wir hoffen auf eine Lösung mit der
Industrie. Nur so kann man weitere Napsters verhindern." Im
Gegensatz zu Napster, dass seinen Nutzern den Tausch von
Musikdateien erlaubt, können die Kunden von MP3.com die Musik nur
anhören, aber nicht aus dem Internet herunterladen. Nach der
Einigung mit EMI kann MP3.com auch Platten dieser Firma wieder in
seinen Dienst aufnehmen, wenn dieser wieder zur Verfügung steht.
Näheres wurde zunächst nicht bekannt. Branchenexperten vermuten
aber, dass MP3.com rund 20 Millionen Dollar [21,6 Mill. Euro] an EMI
zahlt.

Alternativen zu Napster boomen
Das Thema MP3 ist derzeit in allen Medien vertreten. In der Hektik, in der Napster-User ihre letzten Downloads veranstalten, sind auch andere Services wie Phönix aus der Asche gestiegen.
Dienste wie CuteMX und Scour erleben einen ungeahnten Höhenflug. Scour hatte Donnerstagmittag bereits zwei Millionen Songs online. Den größten Aufwand erfährt aber Gnutella, ein freies Tool zum Fileshare.
Der Andrang auf manche Gnutella-Sites war so groß, dass sie auf der Suche nach höherer Bandbreite kurzzeitig schließen mussten.
Trotz des Napster- und Gnutella-Hypes finden sich die größten MP3- und Filmtauschbörsen immer noch im IRC [Internet Relay Chat]. In Kanälen wie #warez, #dreamwarez oder #dvd wird derart kräftig gehandelt, dass Napster vor Neid erblassen würde.
Open Source und Non-Profit
Gnutella sucht sich nach einer Art Schneeballprinzip die User
selber - ein User kennt drei weitere, diese wieder fünf weitere usw.
Automatisch wird so beim Login eine Liste mit Usern erstellt. Auf
die Filmindustrie dürfte noch einiges zukommen - eine Horde von
Netzanfängern, die Napster wegen seiner Einfachheit benutzt haben,
können dank Gnutella nicht nur MP3s, sondern auch ganze Filme
herunterladen.
