Lauschangriff und Recht und Hilfe
Ganz offensichtlich haben die am EU-Rechtshilfe-Übereinkommen beteiligten Juristen auf die Kritik seitens des EU-Parlaments und der Medien am Artikel 18, der die "Überwachung des Telekommunikationsverkehrs ohne technische Hilfe eines anderen Mitgliedsstaats" regelt, reagiert.
In der am 29. Mai beschlossenen, aber noch nicht veröffentlichten Endfassung des Dokuments - der FutureZone liegen Auszüge vor - ist Artikel 18 zu Artikel 20 geworden, während der Inhalt nahezu identisch geblieben ist.
Der im EU-Parlament mehrheitlich abgelehnte, nunmehrige Artikel 20 behandelt den Abhörmodus in einem mittlerweile alltäglichen Fall.
Wenn jemand mit einem in Deutschland gemeldeten Handy in Österreich unterwegs ist und dabei am Roaming-Gateway in Deutschland, über den alle Auslandsgespräche laufen, von den deutschen Behörden abgehört wird, dann haben diese die österreichischen darüber zu informieren.

Binnen 96 Stunden muss dann in Österreich entschieden werden, ob dies nach österreichischem Recht zulässig ist, bei Ablehnung oder Nicht-Entscheidung in dieser Frist dürfen die Deutschen "das bereits gesammelte Material nicht verwenden".
Es sei denn: "Die betreffenden Mitgliederstaaten haben etwas anderes vereinbart."
Und: Die 96-Stunden-Frist kann in beiderseitigem Einverständnis um bis zu eine Woche verlängert werden [Artikel 20, Absatz 4/iv].
Rechtsgrundsätze aushebeln
Eine derartige "Doppelmühle" aus einander ergänzenden bilateralen
und EU-weiten Abkommen kann relativ einfach dazu benützt werden,
einen Rechtsgrundsatz auszuheben, der in fast allen demokratischen
Staaten gilt: Zur Überwachung der Telekommunikation eines
Individuums bedarf es der Entscheidung eines unabhängigen Gerichts.

Die neuen Artikel
Um die Begehrlichkeiten der Dienste dadurch nicht völlig ausufern zu lassen, haben die am Vertragswerk beteiligten Juristen zwei vollkommen neue Artikel eingeschoben.
Artikel 17 definiert die "zuständigen Behörden" in erster Linie als "Justizbehörden", die zum Zweck "strafrechtlicher Ermittlungen" tätig sind, und nicht mehr als "law enforcement" - ein Begriff, der vor allem im angelsächsischen Sprachraum auch Geheimdienste inkludiert.
Allerdings: "Sofern die Justizbehörden keine Zuständigkeit" haben, muss "eine entsprechende zuständige Behörde" benannt werden, die zum "Zweck strafrechtlicher Ermittlung tätig wird."
Bestätigung erforderlich
Im neuen Artikel 18 wird zusätzlich "eine Bestätigung, dass eine
rechtmäßige Überwachungsanordnung im Zusammenhang mit einer
strafrechtlichen Ermittlung erlassen wurde", verlangt.

Um den Besitzer eines österreichisches Handys, der sich in Deutschland aufhält, vollständig zu überwachen, müsste ein entsprechend dokumentiertes Ersuchen an die österreichischen Behörden gerichtet werden, die den zu überwachenden Datenverkehr am Roaming-Gateway dann an die deutschen Behörden in Echtzeit weiterleiten.
Müsste - denn was sich in diesem Graubereich zwischen digitaler Telekom-Technik, Polizei-, Justiz- und Geheimdienststellen tatsächlich abspielt, lässt sich kaum voraussagen.
Satellitentelefonie
Für den Fall, dass es nach der Iridium-Pleite doch noch zu einem
auf Satelliten gestützten Mobiltelfon-Netz über Europa kommen
sollte, hat das Übereinkommen jedenfalls vorgesorgt: Artikel 19
regelt die Zuständigkeiten beim Abhören.
