16.05.2000

SKANDALBUCH

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Das sinnlose Leben eines EDV-Experten

Der namenlose Held in Michel Houellebecqs Roman "Ausweitung der Kampfzone" ist Programmierer in einem gut gehenden EDV-Unternehmen in Paris. Er ist jung, beruflich angesehen und verdient überdurchschnittlich. Sein Leben ist die Hölle.

Ich liebe diese Welt nicht. Ich liebe sie ganz entschieden nicht. Die Gesellschaft, in der ich lebe, widert mich an; die Werbung geht mir auf die Nerven; die Informatik finde ich zum Kotzen. Meine ganze Arbeit als Informatiker besteht darin, die Grundlagen, Vergleichsmöglichkeiten und Kriterien rationaler Entscheidung zu vervielfachen. Das hat überhaupt keinen Sinn. Offen gestanden, das ist sogar eher negativ; eine sinnlose Behinderung für die Neuronen. Dieser Welt mangelt es an allem, außer an zusätzlicher Information.

Life sucks

Der Held hat praktisch keine Freunde, kaum ein Sexualleben und keinen Lebensinhalt. Was ihn am Leben erhält sind: Kaffee, Alkohol, Zigaretten und gelegentliches Masturbieren.

Seinen Kollegen in der Software-Firma und den Menschen, denen er privat begegnet, ergeht es nicht anders. Sie alle leiden nicht bloß an Depressionen, sondern an vitaler Erschöpfung. Das Bankkonto stimmt noch, aber sonst geht nichts mehr. Mit knapp 30 können sie schon das Fazit ziehen: "Das Lebensziel ist verfehlt."

Freier Markt und freie Liebe

Die "Kampfzone", die Houellebecq beschreibt, ist nichts anderes als der wirtschaftliche und sexuelle Liberalismus, der sich immer mehr als totalitäre Kraft entpuppt, die alle Lebensbereiche, alle Gesellschaftsschichten und alle Altersstufen erfasst. Sie schafft eine gesellschaftliche Realität, die keine Menschen, sondern nur mehr deren Marktwert gelten lässt.

Der Info-Highway, der eine sich immer mehr beschleunigende Gesellschaft in eine lichtvolle Zukunft führen soll, ist von seelischen Wracks gesäumt.

Vor unseren Augen uniformiert sich die Welt; die Telekommunikation schreitet unaufhaltsam voran; neue Apparaturen bereichern das Wohnungsinventar. Zwischenmenschliche Beziehungen werden zunehmend unmöglich, was die Zahl der Geschichten, aus denen sich ein Leben zusammensetzt, entsprechend verringert. Und langsam erscheint das Antlitz des Todes in seiner ganzen Herrlichkeit. Das dritte Jahrtausend lässt sich gut an.

Brutal real

Michel Houellebecqs Roman erschien 1994 bei einem kleinen Pariser Verlag. Er war Houellebecqs erstes Buch und fand lange Zeit kaum Beachtung. Erst nach und nach begann sich herumzusprechen, welch beklemmendes Porträt unserer Gesellschaft ihm damit gelungen ist.

Der brutale Realismus und der emotionslose Stil von Houellebecqs Schilderung lösten in der Folge heftige Kontroversen aus. "Ausweitung der Kampfzone" wurde zum Kultbuch, zunächst in Frankreich und seit kurzem auch im englisch- und deutschsprachigen Raum.

Im Rowohlt Verlag ist Michel Houellebecqs umstrittener Roman soeben als Taschenbuch erschienen:

Michel Houellebecq

Ausweitung der Kampfzone

Rowohlt, Reinbek/Hamburg 2000

"Kampfzone" als Theater-Projekt

In Wien ist derzeit auch eine szenische Fassung von "Ausweitung der Kampfzone" zu sehen.

Regisseur Dominik Castell hat dazu Szenen aus dem Roman für eine Bühnenaufführung adaptiert.

Schauplatz der bis 27. Mai laufenden Inszenierung ist die

Ehemalige Firma Wolfhose,

Ottakringersraße 20, 1070 Wien,

bis 27. Mai, jeweils Di bis Sa, 20.30 Uhr

Tel. 710 67 26