28.03.2000

HIGH NOON

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Entscheidung im Microsoft-Prozess

Wenn nicht ein Wunder geschieht, wird heute nach allen Anhörungen, Vorentscheidungen und Geheimverhandlungen das Urteil im Kartellverfahren gegen den weltgrößten Software-Hersteller Microsoft gefällt.

Richter Thomas Penfield Jackson hatte dies vergangene Woche für den Fall in Aussicht gestellt, dass bei den Geheimverhandlungen zwischen Microsoft und dem Justizministerium keine Fortschritte erzielt werden.

Die bisherige Prozessführung von Richter Jackson lässt wenig Zweifel daran aufkommen, dass es ihm mit der Ankündigung ernst ist.

Der Versuch von Microsoft letzten Freitag, das drohende Urteil durch ein paar eilig per Fax übermittelte Einigungsvorschläge doch noch abzuwenden, sind beim Justizministerium auf wenig Gegenliebe gestoßen. Die Vertreter der Regierung wollten deswegen nicht einmal mehr in Gespräche eintreten.

Die Geheimverhandlungen zwischen Microsoft und der Regierung in Chicago laufen bereits seit November, haben bislang aber keine Resultate erbracht. Die Streitparteien reden auch nicht direkt miteinander, sondern lassen sich vom vermittelnden Richter Richard Posner wechselseitig ihre jeweiligen Positionen ausrichten.

Zu wenig, zu spät

Der letzte Einigungsversuch wurde von Microsoft zwar dramatisch inszeniert, enthielt aber offenbar wieder nur jene Zugeständnisse, die ohnehin schon seit langem diskutiert werden: teilweise Offenlegung des Quellcodes von Windows und die Entbündelung von Betriebssystem und Browser. Das "Wall Street Journal" will erfahren haben, dass Microsoft die Integration von Programmen anderer Hersteller in Windows erlauben wolle.

Wenn Richter Jackson heute tatsächlich das Urteil spricht, bedeutet dies keineswegs das Ende des Prozesses.

In der nächsten Phase steht die Festsetzung des Strafmaßes an. Danach wird Microsoft wohl in die Berufung gehen. Von Seiten des Unternehmens hatte es schon mehrfach geheißen, man wolle die Sache bis zum obersten Gerichtshof durchfechten.

Präzedenzfall

Anlässlich der Schlussplädoyers am 23. Februar hat Richter Jackson Microsoft expressis verbis mit dem Öl-Imperium von J.D. Rockefeller verglichen, das 1911 in 30 selbstständige Unternehmen zerschlagen wurde.

Manche Beobachter haben angemerkt, Microsoft werde versuchen, den Prozess in die Länge zu ziehen, bis er eines Tages durch geänderte Marktbedingungen obsolet geworden ist.

Das könnte eintreten, wenn Microsoft seine monopolartige Stellung auf Grund der gegenwärtigen Trends in der IT-Branche auf "natürliche" Weise einbüßt.

Gemeint sind die Ausbreitung von Linux und die schrittweise Ablösung des Desktops durch Geräte wie Webpads, Handhelds und diverse "Internet Appliances", die unter Betriebssystemen laufen, bei denen Microsoft weit von einem Monopol entfernt ist.