Wer Europas Netze beherrschen wird
Der heutigen AOL-Europe-Pressekonferenz in Frankfurt waren zahlreiche Spekulationen vorausgegangen, die eine Übernahme der Bertelsmann-Anteile [50 Prozent] an dem Unternehmen durch die AOL-Muttergesellschaft voraussagten.
Stattdessen kündigte AOL-Europe-Chef Andreas Schmidt eine Allianz mit Nokia und Ericsson an, die Internet-Angebote mit neusten Mobilfunk-Technologien verschmelzen soll.
Statt der erwarteten Entflechtung von Unternehmens-Beteiligungen durch konkurrierende Firmen ist also das Gegenteil eingetreten: Bertelsmann sitzt weiterhin mit seinem Konkurrenten Time Warner, der in den USA mit AOL fusioniert hat, in einem Boot, dazu kommt die Doppel-Verbindung von Ericsson mit den Erzkonkurrenten AOL und Microsoft.
Ericsson und Microsoft hatten erst im Dezember eine strategische Allianz und ein Joint Venture verkündet - mit den gleichen Intentionen wie jetzt AOL mit Ericsson und Nokia.
Nach der heutigen Pressekonferenz ist die Frage, wer zukünftig Europas Netze beherrschen wird, weniger klar denn je. Einzig AOL-Europes Schlüsselrolle scheint gefestigt.
Denkbar sind derzeit drei Möglichkeiten: AOL kauft Bertelmann aus, die Allianz aus Vodafone und Vivendi übernimmt Bertelsmanns Unternehmens-Hälfte, oder aber Vodafone und Vivendi übernehmen AOLs Hälfte.
Die letzte Möglichkeit würde insofern Sinn ergeben, als dass Vivendi über seine Film- und TV-Geschäfte intensiv mit Bertelsmann verflochten ist. Sie würde einen rein europäischen Konzern entstehen lassen, der Infrastruktur, Content und Technik verbindet.
AOL-Europe-Chef Andreas Schmidt sagte dazu heute wenig erhellend: "In Europa gibt es 50 Millionen Internet-Nutzer. In den Kernländern Deutschland, Frankreich und Großbritannien haben 60 Millionen Menschen ein Mobiltelefon. Die Verbindung aus beiden Bereichen auf einer mobilen Internet-Plattform liegt auf der Hand."
Details der neuen AOL-Mobil-Allianz
Künftig sollen AOL-Anwender sich ihre E-Mails vorgefiltert per SMS auf ihr Handy schicken lassen können.
"Wir verbinden dabei Text- und Voice-Nachricht. Ich werde also per SMS auf eine E-Mail aufmerksam gemacht und kann sie mir dann von einem Sprachcomputer am Handy vorlesen lassen", sagte Schmidt.
Das Verfahren werde bereits getestet und noch im Frühjahr 2000 auf den Markt gebracht.
Als nächsten Schritt plant AOL ein "Portal" für moderne Handys, die bereits mit dem WAP-Standard [Wireless Application Protocol] ausgerüstet sind.
Allein AOL Europe sei in der Lage, diese neuen integrierten Dienstleistungen in Europa anzubieten, meinte Schmidt. Ein öffentlicher Beta-Test des WAP-Portals werde bald beginnen. Schmidt verwies auf das enorme Wachstum von AOL Europe. Der Dienst habe nun 3,8 Millionen Mitglieder und aktive Nutzer. "Das ist eine Steigerung um eine Million innerhalb von fünf Monaten." AOL Deutschland zähle jetzt 1,5 Millionen Kunden. Damit sei der Dienst in den vergangenen fünf Monaten um 500.000 Mitglieder gewachsen. Das Wachstum habe zeitweise zu einer Überlastung der Einwählknoten geführt. "Wir werden in den kommenden fünf Wochen 15,3 Millionen Euro in zusätzliche Einwähl-Modems investieren, damit es nicht mehr zu Engpässen kommt."
Die neuen Mobilfunk-Dienste sollen zunächst auf den gängigen Standards angeboten werden. "Wir sind aber auch auf neue Technologien wie GPRS vorbereitet."
GPRS [General Packet Radio Service] wird voraussichtlich Ende 2000 eine bis zu 15 Mal schnellere Übertragungsrate im digitalen Mobilfunk ermöglichen als bisher.