
Die Kultur des Kopierens
Plagiatsdebatten, auch wenn sie so stumpf verlaufen wie jene über "Axolotl Roadkill", zeigen in ihrer Heftigkeit vor allem eines: Kopieren ist für die Kultur unverzichtbar, die Hilfskonstruktion "geistiges Eigentum" ist es nicht. Wer das als Medienmacher nicht berücksichtigt, wird im Netz keinen Erfolg haben. Teil fünf und Ende der futurezone.ORF.at-Serie "Konfiguration Kino".
Ich habe mir in den letzten Wochen Mühe gegeben, den Kopf der Unterhaltungsindustrie, teils gar des einschlägigen Rechts und vor allem der Verwerter im Besonderen zu zerbrechen. All das mehr oder minder brav im Rahmen jener großen, von uns allen zu verehrenden kapitalistischen Weltordnung, die derzeit den Eindruck des Unentrinnbaren macht. Aber man soll sich schon grundsätzlich nicht zu sehr beeindrucken lassen von solchem Unentrinnbarkeitsanschein. Und im Speziellen dieses Falls doppelt nicht.
Denn es ist für den, der Kunst und Kultur als das begreift, was sie ist, schon ganz außerordentlich unangenehm, sich auf diese Weise den Kopf zu zerbrechen. Nimmt man sie nämlich, wie man aufs Schönste utopisch doch muss (unterm Imperativ geht hier nichts), als radikalen Freiheitsraum, in dem fast alles denkbar und ausprobierbar zu sein hat, dann liegt ihr nichts ferner als dieser Rahmen eines Wirtschaftsbetriebs, der alles juristisch zurichten will und noch aus dem letzten Akt des Genusses und dem kühnsten Gedanken geldwerten Gewinn und Zins ziehen muss. Und zwar mit Hilfskonstruktionen noch und noch, nämlich vom Recht nie und nimmer einfriedbaren Größen wie "Originalität" und "Schöpfungshöhe" und so immerzu weiter.
Zur Person:
Der Kulturwissenschaftler Ekkehard Knörer ist Filmkritiker und Redakteur der Filmzeitschrift "Cargo". Im Rahmen der futurezone.ORF.at-Serie "Konfiguration Kino" erkundet er die Möglichkeiten des Bewegtbilds im Netz.
Die Serie "Konfiguration Kino" wird unter folgender URL gesammelt:
Gier statt Kunst
Wenn, anders gesagt, irgendwo die Grundideen des Kapitalismus an ihre Grenzen stoßen, ad absurdum geführt und als der komplett auf Anreiz durch Gier und geistige Umwegrentabilitäten gebaute Brems- und Verhinderungsklotzbetrieb erkennbar werden, der sie nun einmal sind, dann doch justament hier und jetzt, im Bereich dessen, was sich die Produktions- und Verwertungsindustrie unterm Begriff des "geistigen Eigentums" so fein zurechtgedacht, mit Paragraphen umzäunt und ganzen Gesellschaften mit Peitsche und Zuckerbrot eingetrichtert bzw. plausibel gemacht hat.
Das freilich, "geistiges Eigentum", ist ein Begriff, der, lässt man den Rahmen der Verwertung versuchshalber einmal weg, einfach nur unsinnig ist. Über das einschlägige Klassikerzitat hinaus muss man dazu nichts weiter sagen. Also schrieb kein Geringerer als Thomas Jefferson bereits am Ende des 18. Jahrhunderts - just zu jenem sattelzeitigen Moment also, in dem die Vorstellung von Autorschaft als Werkherrschaft so richtig gründlich kodifiziert wurde: "Wer eine Idee von mir empfängt, mehrt dadurch sein Wissen, ohne meines zu mindern, ebenso wie derjenige, der seine Kerze an meiner entzündet, dadurch Licht empfängt, ohne mich der Dunkelheit auszusetzen."
Ideen aussitzen
Ganz aktuell wird das gerade wieder hochgekocht am Exempel von Helene Hegemanns zu weiten Teilen nicht auf ihrem Mist gewachsenen Roman "Axolotl Roadkill". Die Debatten, die keinen einzigen neuen Gedanken gebracht haben - nun gut, wie sollen sie auch - sind bei der Lektüre der Feuilletonrundschau des Perlentauchers der vergangenen Wochen in jeder Einzelheit nachzuvollziehen. Von da jetzt auch das Jefferson-Zitat und dort zu finden auch der Hinweis auf Jonathan Lethems eigentlich fast schon erschöpfenden Harpers-Magazine-Text aus dem Jahr 2007.
Die Grundidee, die primäre Bewegung, ja sogar das Medium des Denkens, mithin der Kunst wie der Wissenschaft, ist nicht das Eigentum (an Ideen, Gedanken, Taten und Werken), sondern die Aneignung eben dieser Ideen, Gedanken, Taten und Werke. Und damit eben nichts, auf das man sich setzt, nichts, auf dem man sitzen bleibt, nichts, das was man wegsperrt und hinter Schloss, Riegel und Drahtzäune bringt. Wer aneignet, hält nicht den Daumen drauf auf etwas, das ihm gehört, sondern er greift und nimmt, was er braucht, und offeriert im Gegenzug, was er aus dem Genommenen und Gefundenen gemacht hat.
Zwischenspeichern des Diskurses
Aneignung ist, recht verstanden, etwas Dynamisches, ein nicht anzuhaltender Fluss, eine Bewegung, und zwar keine, die etwas, das einem anderen gehört, in Eigentum überführt. Vielmehr setzt Aneignung die Anerkenntnis voraus, dass ich als Autoren- und Schöpfer-Ich ein Ich bin, das dazutut und transformiert, Einflüsse wirken lässt, die es nicht kontrolliert und also Freiheitsspielräume der Zeichenverkettung nutzt, die von anderen immer schon miteröffnet sind und die ich in jenen Transformationen, die ich mir zuschreibe bzw. die mir dann zugeschrieben werden (oder auch nicht), wiederum Spielräume für andre eröffne, die damit dann tun, was ihnen einfällt.
Klar kommt mein Name drauf, aber doch eher im Sinn einer momentanen Zwischenspeicherung des großen Diskurses, der Kunst im weitesten Sinn heißt. Das Gedächtnis der Kunst vergisst, was der Bewahrung nicht wert ist, von selbst. Wir nennen die Deformationen, die die Eigentums- und Verwertungsindustrie aus diesen als Utopie vorgestellten Aneignungsprozessen macht, ungern Zensur. (Wir verbieten uns das eher, als dass es uns ausdrücklich verboten würde.) In Wahrheit ist es genau das: Der oft barbarische und brutale Schnitt, der nicht aus kunstintrinsischen Gründen, sondern der bloßen Verwertbarkeit halber dumpf und stumpf ins Denken und Schaffen und Aneignen und Umdenken und Umschaffen gesetzt wird.
Kultur des Kopierens
In der Kunst haben die Vertreter der Appropriation Art bis ins Detail durchexerziert, welche Vielfalt der Sprechakte sich unterm Begriff der Aneignung fassen lassen - bis hin zum fast kompletten Verschwinden einer romantisch inspirierten - und zum Ideologem einer kapitalistischen Kultur jederzeit umnutzbaren - Idee von Originalgenialität: vom feministischen Einspruch gegen einen von Männern dominierten Diskurs (Sherry Levine) etwa, über die im Prinzip eher affirmative Aufblasbewegung von ikonisch gewordenen Werberbildern und -zeichen (Richard Prince) bis - am interessantesten - zu den Paradoxien, die sich aus der auf den ersten Blick vollkommen identischen Kopie von existierenden Werken ergeben (Elaine Sturtevant).
Das zeigt, um ganz zuletzt etwas konkreter doch eine Wendung in Richtung "Film im Netz" zu nehmen, vor allem eins: das Remixen, Mashupen, Verwursten und ja, auch das illegale Hochladen und Ansehen und Weiterverbreiten von Filmen als digitale Kopie, kann der Kunst und Kultur als Freiraum der Aneignung und der Umeignung, des Kennen- und Wissenwollens und des Damit-dann-selbst-etwas-anstellen-Wollens immer nur nützen.
An einem Ort, der Futurezone heißt, will all das auch einmal gesagt sein.
(Ekkehard Knörer)