© Günter Hack, Kino-Schild

Netzkino: Von den Piraten lernen

KONFIGURATION KINO
06.02.2010

Kopierschutz, Geoblocking, fehlende legale Angebote: Die Probleme der Filmindustrie mit dem Internet sind oft genug hausgemacht. Wenn die Anbieter im Netz erfolgreich sein wollen, sollten sie sich von den Vertriebsstrategien der analogen Welt verabschieden - und einige Erfolgsrezepte der Medienpiraten kopieren. Teil zwei der futurezone.ORF.at-Serie über das Internet als Kino.

Kaum war James Camerons mit Spannung erwarteter Fantasyfilm "Avatar" in den Kinos, tauchte mindestens eine Cam-Kopie (natürlich der 2-D-Version) auch im Netz auf. Ausweislich der inoffiziellen BitTorrent-Piraten-Charts, die von der Website TorrentFreak wöchentlich erstellt wird, war "Avatar" in der Woche vom 20. bis zum 27. der am häufigsten heruntergeladene Film auf der Welt.

Aufgrund der zunehmend verschärften Gesetze gegen den Tausch von Kopien übers Netz haben in den letzten Monaten direkt aus dem Netz gestreamte Kopien und ihre Anbieter (wie zshare und megavideo) immer größeren Zulauf. Der Clou dabei: Das Ansehen solcher (ganz sicher) unlizenziert eingestellten und (vermutlich) illegal verlinkten Kopien ist (wohl) in zahlreichen Ländern nicht verboten. (Es ist nach wie vor auch eine Parallelwelt der rechtlichen Grauzonen.)

Zur Person:

Der Kulturwissenschaftler Ekkehard Knörer ist Filmkritiker und Redakteur der Filmzeitschrift "Cargo". Im Rahmen der futurezone.ORF.at-Serie "Konfiguration Kino" erkundet er die Möglichkeiten des Bewegtbilds im Netz.

Die Serie "Konfiguration Kino" wird unter folgender URL gesammelt:

Streaming in der Zombiezone

Einer der Linkhosts für solche Services verzeichnet derzeit bereits mehr als 1,2 Millionen Abrufe für "Avatar". Dieser Linkhost selbst sieht aus wie eine Online-Videothek: Es ist, in mehr oder minder guter Bild- und Tonqualität, Titel für Titel, von "Avatar" bis "Zombieland", so ziemlich alles unmittelbar abrufbar, was in den letzten Monaten in den US-Kinos anlief.

Man sieht daran: Die Parallelwelt der illegalen Filmdistribution ist so lebendig wie eh und je. Es ist eine Parallelwelt, in der die Erfolgsgesetze der kommerziellen Distribution in ziemlich identischer Weise gelten. Es sind die gleichen Blockbuster, die in den Charts vorne stehen. Weitere Erkenntnis: Das von der Industrie heftig bekämpfte Filesharing wird durch den noch dazu viel bequemeren Direktstream vom Dateihoster zusehends verdrängt.

Benutzerfreundliche Piraten

Der Kampf der Industrie gegen die Hoster, den Schweizer Anbieter Rapidshare vor allem, begann längst. Und das illegale Angebot für aktuelle Filme hat nicht nur den Vorteil, dass es nichts - oder höchstens das Abo für den schnellen Zugriff beim Hoster - kostet. Es ist auch unendlich viel reichhaltiger, flexibler, simpler als alles, was derzeit an legalen Möglichkeiten entsteht, aktuelle Filme zu sehen.

Man nehme, als ein Beispiel unter vielen (in Deutschland etwa: Videoload und MSN Movies), das größte Erfolgsmodell Hulu, ein Gemeinschaftsangebot mehrere US-Fernsehsender, unter Federführung der großen Networks ABC, NBC und Fox, mit Schwerpunkt bei Fernsehen, aber auch mit einem Filmangebot. Bisher ist Hulu gratis, über Bezahlmodelle wird jedoch nachgedacht.

Konsumentengeißel Geoblocking

Der große Nachteil nicht nur dieses Angebots wird ersichtlich, sobald man von außerhalb der USA darauf zuzugreifen versucht: Hulu ist per Geoblocking eingezäunt. Wer von anderswo das Angebot nutzen will, muss den (nur bedingt legalen) Umweg über Proxy-Server und VPN gehen - und auch da versucht Hulu inzwischen, einen Riegel vorzuschieben. Dasselbe gilt für Netflix, eigentlich ein sehr erfolgreicher, übers Netz organisierter DVD-Verleih per Post, der aber zusehends auf Online-Streaming, auch direkt auf den Fernseher, umstellt. (Dass das Ende der Brick-and-mortar-Videotheken bevorsteht, ist ohnehin klar, siehe etwa diese Meldung aus dem "Standard".)

Das zentrale Problem ist einfach und kompliziert zugleich, und bisher verhindert es jeden wirklich wirksamen Versuch, dem Filesharing und dem illegalen Streaming ein akzeptables kostenpflichtiges Angebot entgegenzusetzen: Lizenzen für die Aufführung bzw. Ausstrahlung von Filmen werden seit eh und je für lokale Märkte vergeben. Daher schon die künstliche Aufteilung des DVD-Weltmarkts durch Regionalcodes.

Industrie verschläft Globalisierung

Das Geoblocking freilich ist nun eine der Distributionslogik des Netzes komplett zuwiderlaufende Praxis: Es verhindert, dass der Markt einen Großteil all jener bedient, die - zum nicht geringen Teil durchaus gegen Entgelt - bedient werden wollen. Die Filmindustrie, die geschäftlich längst weltweit agiert, fand bisher keine Mittel und Wege, der in jeder Hinsicht (auch der des Englischen als Weltsprache) längst global gewordenen Zuschauergemeinde ein auch nur halbwegs adäquates Angebot zu machen.

Die Industrie ist hier Traditionen verhaftet, die mit der durch die Digitalisierung und das weltweite Netz geschaffenen Lage nichts mehr zu tun haben. Schlichter formuliert: Sie versagt bisher weitgehend vor der Aufgabe ihrer notwendig gewordenen Umstrukturierung. Was sie nicht daran hindert, bei staatlichen Stellen Bestandsschutz zu suchen (und, siehe in Frankreich HADOPI, in haarsträubender Verletzung der Grundrechte sogar zu bekommen) und sich im Gegenzug über konstruktive Vorschläge zur sinnvollen Umstrukturierung des Markts sofort zu empören. (Siehe z. B. den jüngsten Aufschrei aus Deutschland zum Thema Kulturflatrate.)

Arthouse virtuell

Jetzt noch ein kurzer Blick auf das Gebiet des Films als Kunst, also das Kerngebiet der Cinephilie. Vielleicht ist es erstaunlich, vielleicht auch nicht, dass sich hier im Netz erstaunlich viel tut. So hat, was nur ein bezeichnendes Beispiel ist, das größte US-Filmfestival Sundance kürzlich die Kooperation mit Googles Videoplattform YouTube versucht, bzw. andersherum gesagt: YouTube suchte sich Sundance als Partner aus, um einen der ersten Versuche mit einem Bezahlangebot zu unternehmen.

Weitere sind geplant, für Liveübertragungen und anderes, dieser erste jedoch ging, wie man liest, eher schief. Einige der beim Festival in Sundance gezeigten Filme sollten gegen einen Preis von 3.99 $ (selbstverständlich auf die USA begrenzt) bei YouTube abrufbar sein. Bei NewTeeVee kann man nachlesen, dass nicht mehr als zwischen 250 und 300 Nutzer zugegriffen haben - alles andere als der erhoffte Erfolg.

Gesponserte Klassiker

Nicht ganz unähnliche Erfahrungen macht man bei The Auteurs, dem weltweit ambitioniertesten Versuch, der Cinephilie eine Plattform im Netz zu geben. (Vgl. das Futurezone-Porträt vom Juni 2009.) The Auteurs versucht, vieles auf einmal zu sein: kostenpflichtige Online-Videothek, Cinephilen-Forum, Festivalbegleiter, kuratierte Kinemathek (jüngst mit einer von Stella Artois gesponserten Reihe von Nouvelle-Vague-Filmen) und Filmzeitschrift beziehungsweise Filmnachrichten-Aggregator (Abteilung Notebook).

Die Probleme, mit denen The Auteurs kämpft, sind vertraut: Sie bekommen nur selten weltweite Ausstrahlungsrechte, so dass sie, abhängig von der Distributionsindustrie, selbst fast immer Geoblocking einsetzen müssen. Schlimmer noch: Zwar funktioniert das Forum mit Zigtausenden Besuchern und Einträgen hervorragend. Die Bildqualität, die die eigene Encodings einsetzenden Techniker der Auteurs fürs Streaming zustande bekommen, ist atemberaubend. Das Publikum, das dann aber Zahlungsbereitschaft zeigt und fünf Dollar bzw. Euro für einen online betrachteten Kunstfilm auszugeben bereit ist, scheint jedoch eher klein. The Auteurs bleibt vorerst ein faszinierendes Start-up auf der Suche nach einem Geschäftsmodell.

Jenseits der Blockbuster

Nicht zuletzt hat das damit zu tun, dass die weltweite Cinephilen-Gemeinde über eine hier namentlich besser nicht genannte, nur per Einladung zugängliche Tauschbörse bestens vernetzt ist. Ganze Bestände an VHS-Fernsehaufzeichnungen aus jenen Zeiten, in denen im Fernsehen noch so ziemlich alles gezeigt werden konnte, sind hier eingestellt. Manch heiliger Gral der cineastischen Sehnsucht steht zum Download bereit. Jüngst konnte stolz vermeldet werden, dass das auf DVD in weiten Teilen nicht - oder nur unter abenteuerlichen Bedingungen - zugängliche Werk des taiwanesischen Meisterregisseurs Hou Hsiao-hsien komplett vorhanden ist. (Zwei frühe kommerzielle Filme noch ohne Untertitel. Aber auch Untertitel werden von der Community eigens erstellt.)

Man darf sicher sein, dass die Nutzer dieser Tauschbörse zu den eifrigsten Käufern regulärer DVD-Editionen gehören, die oft genug selbst wiederum unter Selbstausbeutungsbedingungen entstehen. Wer es sich nicht leisten kann oder will, greift dann aber in der Schattenwelt der Gleichgesinnten umsonst zu. Dies ist durchaus ein Ort, an dem das Netz als utopischer Ort abseits des Mainstreams und abseits des Markts zu sich kommt: Hier ist das Ideal jener weitreichenden Verfügbarkeit alles Begehrenswerten so weit umgesetzt, wie es vor zehn Jahren noch niemand zu träumen gewagt hätte. Die Geschichte des Kinos war, nicht nur in dieser Tauschbörse, nie zuvor so greifbar und so präsent. Was diese - von James Quandt ja im Eingangszitat der letzten Woche gerade beklagte - Verfügbarkeit aber zu bedeuten haben könnte, dazu dann mehr in der nächsten Folge.

(Ekkehard Knörer)