© Günter Hack, Grafik Serie Last.fm

Zwist und Intrigen bei Last.fm

SERIE
31.08.2009

Der 2001 mit österreichischer Beteiligung in London gegründete Musikdienst Last.fm hat das Online-Radio revolutioniert und wurde schließlich für 280 Millionen Dollar an den US-Medienkonzern CBS verkauft. ORF.at vorliegende Dokumente geben Einblick in die turbulente Entstehungsgeschichte des Dienstes, die auch von Geldnot, Streit und Intrigen geprägt war. Auftakt zur dreiteiligen Serie "Zwist und Intrigen bei Last.fm".

Im Juli 2009 sitzt Thomas Willomitzer in seinem Büro im siebenten Wiener Gemeindebezirk. Vor kurzem hat der Wiener Programmierer das Kapitel Last.fm abgeschlossen. Willomitzer war maßgeblich an der Gründung des Online-Musikdiensts beteiligt. 2003, vier Jahre vor dem Verkauf des Online-Radios an den US-Medienkonzern CBS, wurde er aus dem Unternehmen gedrängt.

Jahrelang kämpfte er um seinen Anteil an dem Unternehmen - mit mäßigem Erfolg. Nach einer außergerichtlichen Einigung mit den verbliebenen Gründern erhielt er im Mai dieses Jahres schließlich 60.000 Pfund (68.000 Euro) zugesprochen.

Der 1975 in Wien geborene Thomas Willomitzer zog nach Programmiertätigkeiten bei Alcatel und Kuoni im Jahr 2000 nach London, wo er bis Ende 2001 für das Software-Unternehmen Sunguard Trading Systems tätig war. Von 2001 bis 2003 studierte und lehrte er am Londoner Ravensbourne College for Design and Communication und gründete gemeinsam mit Michael Breidenbrücker, Felix Miller und Martin Stiksel den Online-Musikdienst Last.fm. Nach seiner Zeit bei dem Musikservice belegte Willomitzer einen Kurs am Londoner Birkbeck College und arbeitete in London und München als Entwickler für Investmentbanken. Seit Ende 2008 lebt Willomitzer wieder in Wien, wo er an diversen Online-Projekten, darunter eine Charity-Plattform, bastelt.

Auszüge aus seinen Dokumenten zu Last.fm will er am Mittwoch, bei Erscheinen der letzten Folge der futurezone.ORF.at-Serie, im Netz zugänglich machen.

3.000 Seiten an Dokumenten

Verglichen mit den jeweils rund 40 Millionen Dollar, die zwei seiner früheren Partner aus dem Verkauf des Diensts lukrierten, ist die Summe nicht der Rede wert. Das Geld reicht nicht einmal, um die Anwaltshonorare zu begleichen. Von seiner Zeit bei Last.fm, zu dessen Gründern er neben Michael Breidenbrücker, Felix Miller und Martin Stiksel zählt, sind dem 33-jährigen Programmierer rund 3.000 Seiten an Dokumenten geblieben.

Sie geben Einblick in die Entstehung des Diensts und zeigen, dass Last.fm ein Start-up wie jedes andere war. Reibereien um Kompetenzen, Streitigkeiten über die Aufteilung der Anteile mischten sich mit hochgesteckten Plänen, verqueren Visionen und persönlichen Animositäten. Willomitzer geht mit den Dokumenten an die Öffentlichkeit, weil er "die Geschichte zurechtrücken will", wie er meint. Denn vieles, was über die Gründung des Musikdiensts verbreitet werde, stimme so nicht.

"StarCraft" und Online-Musik

Die Geschichte beginnt im Sommer 2001 in London. Willomitzer arbeitet als Programmierer beim britischen Software-Unternehmen Sunguard Trading Systems. Auf einer Party lernt er den Österreicher Martin Stiksel kennen, der gemeinsam mit dem Deutschen Felix Miller das Online-Label insine.net betreibt. Insine.net will Acts aus der elektronischen Musik eine Plattform bieten und deren Songs über das Netz verkaufen. Miller, Stiksel und Willomitzer freunden sich über das gemeinsame Spielen des Strategiespiels "StarCraft" an.

In der Folge lernen sie auch den Vorarlberger Michael Breidenbrücker kennen. Breidenbrücker leitet am Londoner Ravensbourne College for Design und Communication das Master-Studium für Interactive Digital Media. Er verpflichtet Willomitzer für das College, wo der Entwickler Programmierkurse geben soll. Im Gegenzug bekommt er einen Studienplatz. Miller und Stiksel diskutieren mit Breidenbrücker und Willomitzer auch immer wieder über die Weiterentwicklung ihres Online-Labels.

Musikgeschäft in Bewegung

Das Musikgeschäft war zwei Jahre zuvor durch die Online-Tauschbörse Napster nachhaltig erschüttert worden. Musik und Internet sind Anfang des Jahrtausends ein vieldiskutiertes Thema. Einem Online-Shop können jedoch weder Willomitzer noch Breidenbrücker etwas abgewinnen: Der Verkauf von Musik im Netz sei mit Napster erledigt gewesen, erinnert sich Breidenbrücker.

Willomitzer entwickelt zwar anfangs aus Freundschaft für Millers und Stiksels Online-Shop. Wirklich interessiert habe ihn die Arbeit aber nicht, wie er heute meint. Im Zuge des Nachdenkens, was man aus der Seite machen könnte, entsteht jedoch die Idee für ein Online-Radio, das auf Basis des Abgleichs der Hörgewohnheiten seiner Nutzer dynamische Playlists erstellt und seinen Nutzern neue Musik empfiehlt. Die Grundidee zu Last.fm ist geboren.

Urheberschaft umstritten

Auf wen die Idee letztlich zurückgeht, ist umstritten und lässt sich heute wohl nicht mehr zweifelsfrei rekonstruieren. Sowohl Breidenbrücker als auch Willomitzer bezeichnen sich als Urheber des Konzepts. "Das Konzept eines Profilradios geht klar auf mich zurück", sagt Breidenbrücker. Willomitzer habe die technische Umsetzung gemacht und das kollaborative Filtern ins Spiel gebracht.

Auch Willomitzer beansprucht die Idee für ein Online-Radio mit Profilabgleich und kollaborativem Filtermechanismus für sich. Er beruft sich dabei auch auf eine Anwendung, die er zuvor in Wien für die Jobbörse Career Now mitentwickelt hatte. Auch dort spielte der automatisierte Abgleich von Profilen eine wesentliche Rolle. Bei Career Now sei es ebenso wie bei Last.fm um das Matching persönlicher Daten gegangen, erinnert sich Klaus Unger, ein ehemaliger Arbeitskollege Willomitzers bei dem österreichischen Recruiting-Unternehmen. "In den Grundzügen und aus konzeptioneller Sicht sind definitiv Verbindungen da."

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Im Herbst 2006 erzählte Stiksel Im Interview mit ORF.at seine Version der Entstehungsgeschichte des Diensts.

Stiksel und Miller wollten gegenüber ORF.at trotz mehrmaliger Anfragen keine Stellungnahme abgeben. In einem Schreiben ihres Anwalts, das nach der Klagsdrohung an die Anwälte Willomitzers ging und das ORF.at vorliegt, spielen sie die Rolle Willomitzers jedoch herunter. Seine Beiträge zur Entwicklung des Diensts seien vernachlässigbar gewesen. Vor allem Breidenbrücker habe das Konzept vorangetrieben, heißt es in dem Papier.

Start im neuen Büro

Wer auch immer die Idee zum Online-Radio samt Nutzerprofilen und kollaborativen Filtertechnologien gehabt haben mag, Ende 2001 steht jedenfalls fest, dass mehr daraus werden sollte. Gemeinsam mieten sich Breidenbrücker, Miller, Stiksel und Willomitzer in der Londoner New Road in einem Büro ein, um an dem Projekt zu arbeiten. Später werden sie dafür den Namen Last.fm - gleichbedeutend mit "das letztgültige Radio" - finden.

Entwurf für das Layout von Last.fm aus dem Mai 2002.

Ausgewählte frühe Versionen des Online-Musikdiensts sind über die Wayback Machine Internet Archive zugänglich.

Erste Entwürfe werden diskutiert

In den folgenden Monaten werden erste Entwürfe für den geplanten Dienst erstellt und diskutiert. In E-Mails ist von einer Musiklandkarte im Internet die Rede, die auf den Hörgewohnheiten der Nutzer anstatt auf vorgegebenen Kategorien und Genres basiert. Die Musik solle von ihren Begrenzungen durch die Promotion der Industrie befreit werden und von den Nutzern nur auf Basis der Hörerfahrung bewertet werden, heißt es in einem Promotiontext aus dem Frühjahr 2002.

Betaversion im Netz

Ende März 2002 geht Last.fm in einer Betaversion schließlich online. Die Hardware besteht aus einem ausgemusterten PC, der unter einem Studentenschreibtisch im Londoner Ravensbourne College steht, das auch die Netzverbindung zur Verfügung stellt. "Last.fm ist damals auf einem 400-MHz-Rechner gelaufen", erinnert sich Willomitzer. "Das System war nicht dazu gedacht, dass es mehr als ein paar Nutzer verkraften kann."

Die Musik wird mittels MP3-Streaming über HTTP auf die Desktop-Clients der Nutzer gespielt. Diese können die über das Last.fm-Online-Radio gelieferten Tracks per Knopfdruck überspringen, wenn sie die Titel nicht mögen. Das Feedback der User wird von Last.fm aufgezeichnet. Empfehlungen werden schließlich über den Abgleich verschiedener Nutzerprofile berechnet (kollaboratives Filtern): "Es ist so, als würden wir die Plattensammlungen verschiedener Leute miteinander vergleichen", so ein Promotiontext. "Bestehen die miteinander verglichenen Sammlungen zur Hälfte aus denselben Platten, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass ihre Besitzer auch die andere Hälfte der jeweils verglichenen Sammlung mögen werden."

Nutzerfeedback bei Online-Radios

Zwar gibt es zu dieser Zeit eine Reihe weiterer Online-Radios und Musikdienste, die mit dem Feedback ihrer Nutzer bei der Erstellung von Streams experimentierten, die Dienste verliefen jedoch entweder im Sand oder waren in ihrer Handhabung zu umständlich, um für ein breites Publikum attraktiv zu sein. Im Last.fm-E-Mail-Verkehr finden sich zahlreiche Verweise auf solche Services. So wird etwa im März 2002 ein vom britischen Rundfunkbetreiber Capital Radio geplantes personalisiertes Radio diskutiert, das zum Jahresende unter der Online-Marke des Medienunternehmens, kikido, ans Netz gehen soll. Auch die Dienste Smart Radio der Web Community Radio Internation (WCRI) und die von AOL gekaufte Media-Player-Software Spinner sind in E-Mails Thema.

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Mittlerweile zeigen zahlreiche Social-Networking-Plattformen und personalisierte Web-Radios Möglichkeiten auf, neue Musik zu entdecken. Der britische Psychologe David Jennings hat darüber ein Buch geschrieben. ORF.at hat ihn im Herbst 2007 dazu interviewt.

Auch Apple erweitert 2002 seine Musiksoftware iTunes um eine Funktion, die die Bewertung der abgespielten Songs erlaubt. Darauf aufbauend sollte auch die Erstellung von "Smart Playlists" ermöglicht werden. Ein Feature, das auch für das Last.fm-Online-Radio zentral ist. "Was ihnen jetzt noch fehlt, ist die Vernetzung der Nutzerratings untereinander, um kollaborative Musikempfehlungen geben zu können", wird das Apple-Software-Update in internen E-Mails zwischen den Last.fm-Gründern kommentiert. "Ich bin sicher, dass Steve Jobs so was auch gerne hätte, wahrscheinlich arbeitet er schon dran, er könnte uns aber auch kaufen."

Businesspläne und Label-Kontakte

Während an der Entwicklung des Diensts weitergearbeitet wird, werden Businesspläne geschrieben und Labels kontaktiert, um neues Material für die noch spärliche Musikdatenbank des Online-Radios zu bekommen.

Auszug aus einem Last.fm-Businessplan aus dem Jahr 2002.

Den Labels werden im Gegenzug Daten zu den Hörgewohnheiten der Nutzer offeriert, mit denen Last.fm auch versucht, Geld zu verdienen. Anfangs stößt das bei den Partnern aus der Musikbranche jedoch auf Skepsis. So zeigt sich etwa das Label Fat Cat Records aus dem südenglischen Brighton, das damals unter anderen die isländischen Pop-Esoteriker Sigur Ros und Mum unter Vertrag hat, nach einer Kontaktaufnahme von Last.fm an den Daten nur mäßig interessiert. Bezahlen wollen sie dafür nicht: "Wir arbeiten nicht so."

Die Musik wird in den Anfangsjahren von Last.fm von CDs gerippt und auf den Server gespielt. Rechtlich hat man sich über eine Lizenz der britischen Verwertungsgesellschaft MCPS-PRS abgesichert. Ein ursprüngliches geplantes Feature, das Nutzern das Hochladen von Musik erlauben sollte, wird fallengelassen. In späteren Versionen wird diese Funktion ausschließlich Labels und Musikern zur Verfügung stehen.

Erste Spannungen

Schon bald kommt es zwischen den Last.fm-Gründern zu ersten Spannungen. Der Bau der ersten Last.fm-Version ist chaotisch verlaufen. Nicht immer war klar, wer wofür verantwortlich ist. Missverständnisse häufen sich. Egos prallen aufeinander. Willomitzer ist mit dem Projektmanagement unzufrieden und will die Koordination künftig selbst übernehmen. "Da ihr mit Projektentwicklung/Teamentwicklung wenig praktische Erfahrung habt, dachte ich mir, ich nehme das mit allgemeinem Einverständnis in die Hände", schreibt er in einer E-Mail an seine Partner.

"Ich habe bereits davor bei großen Unternehmen gearbeitet und gesehen, wie Projekte, wenn sie wirklich zielgerichtet sind, ablaufen. Das hat mir in dem Chaos bei Last.fm gefehlt", meint Willomitzer heute.

Bei den anderen Gründern stößt der Vorstoß des Programmierers auf wenig Begeisterung. "So eine Machonummer ist nicht drin", heißt es etwa in einer E-Mail Breidenbrückers an Willomitzer. Später wird er Willomitzers Vorschlag als Machtspiel bezeichnen: Willomitzers Programmierarbeit sei zu diesem Zeitpunkt für Last.fm unverzichtbar gewesen, sagte er in einer Zeugenaussage gegenüber Willomitzers Anwälten im Juli 2008: "Wäre er zu diesem Zeitpunkt von einem Bus überfahren worden, hätte es wohl kein Last.fm gegeben."

Finanzielle Situation trist

Die finanzielle Situation von Last.fm ist in den Anfangsjahren trist. Der Dienst wirft keine Einnahmen ab. Für die Suche nach Investoren ist es noch zu früh. "Zu diesem Zeitpunkt war klar, dass eine Bezahlung der Arbeit nicht möglich war", so Breidenbrücker. Die Kosten für die Infrastruktur und Miete wurden, wie der interne E-Mail-Verkehr aus dieser Zeit belegt, von den vier Gründern gemeinsam getragen.

Bild: SWOT-Analyse (Strengths, Weaknesses, Opportunities und Threats) aus einem Last.fm-Businessplan aus dem Jahr 2003.

Das Team bewirbt sich mit seinem Dienst bei Wettbewerben und Festivals und versucht, Sponsoren an Land zu ziehen. Ein erhoffter Sponsorenvertrag, der den vier Gründern ein Einkommen von 1.500 Pfund monatlich garantiert hätte, kommt jedoch nicht zustande.

Willomitzer, der im Jänner 2002 seinen Job bei Sunguard Trading Systems wegen der Turbulenzen auf den Finanzmärkten nach den Anschlägen in New York im September 2001 verlor, finanziert sein Engagement bei Last.fm aus privaten Ersparnissen. Er hat ein Jobangebot von einem Wiener Reiseanbieter vorliegen und entschließt sich, nach Österreich zurückzukehren. Die Arbeit an Last.fm will er von dort aus fortsetzen. Breidenbrücker verdient am Ravensbourne College Geld. Miller und Stiksel werden von ihren Eltern finanziell unterstützt.

"Irgendwie total verbummelt"

Die finanzielle Lage und die zögerlichen Fortschritte bei der Weiterentwicklung von Last.fm führen unter den Gründern zunehmend zu Frustrationen. So beklagt sich Miller in einer E-Mail an Willomitzer aus dem September 2002 über die mangelnden Fortschritte bei dem Online-Musikdienst: "Wir haben das irgendwie total verbummelt." Auch er überlegt, London zu verlassen: "Ich glaub halt echt, dass ich recht bald nach Japan abrenn, wenn sich hier nix tut."

"Obwohl wir keine Finanzierung hatten, haben wir an das Projekt geglaubt", erinnert sich Breidenbrücker. "Wir hatten im ersten Jahr bereits eine Community. Die Leute haben die Seite gemocht. Wir wussten aber nicht, wie wir mit dem Dienst Geld verdienen sollen."

Lesen Sie am Dienstag im zweiten Teil der Serie zu Last.fm in futurezone.ORF.at, wie Willomitzer aus dem Unternehmen gedrängt wurde, wie Last.fm mit dem Audioscrobbler-Projekt des britischen Programmierers Richard Jones verschmolzen wurde und warum der Server von Last.fm im August 2003 zusammenbrach.

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(futurezone/Patrick Dax)