Reizwort Web 2.0 sorgt für Diskussionen
Die Umschreibung "Web 2.0" für die neueste Generation von Websites und Anwendungen hat sich vom Hype- zum Reizwort entwickelt.
Die Internet-Branche hat seit einiger Zeit ein neues Hype-Wort, von dem keiner so recht weiß, was es eigentlich bedeuten soll: "Web 2.0". Eine Suchanfrage in Google bringt es derzeit auf mehr als 500 Millionen Einträge, vor wenigen Wochen waren es noch 400 Millionen.
Dabei ist Web 2.0 keine großartige technische Neuerung und keine völlig neue Überarbeitung des World Wide Web. Es ist bloß der Versuch, Strömungen im Netz zusammenzufassen und ihnen einen gemeinsamen Begriff zu geben.
Dale Dougherty als Urheber
Geprägt wurde der Begriff "Web 2.0" von Dale Dougherty vom kalifornischen Computerfachverlag O'Reilly. Im Frühjahr 2004 dachte er gemeinsam mit Craig Cline von der Firma MediaLive International über eine neue Konferenz nach.
Dougherty stellte fest, dass das Internet trotz des Platzens der Dot-Com-Blase im Herbst 2001 wichtiger sei denn je. Er sah sich die Geschäftsmodelle jener, die überlebt hatten, an und stellte fest, dass sie etwas gemeinsam hätten. Wikipedia, Flickr, Google AdSense, BitTorrent und Weblogs setzten auf Services statt auf Softwarepakete, auf das Web als Plattform und auf die kollektive Intelligenz der User, so Dougherty.
Das Ende der gehypten "New Economy" hatte seiner Meinung nach einen Wendepunkt markiert und ein "neues" Web - eben ein Web 2.0 - hervorgebracht. Im Oktober 2004 veranstaltete O'Reilly in San Francisco die erste Konferenz unter diesem Namen, Anfang November des heurigen Jahres bereits die dritte.
Web 2.0 - der große Brei
Weil bald eine heftige Diskussion über den Begriff geführt wurde, versuchte Tim O'Reilly im September 2005 in einem Artikel, noch einmal zusammenzufassen, was denn damit gemeint sei.
Typische Kennzeichen seien die Vernetzung und Zusammenarbeit der User, die Vermischung von Daten verschiedener Quellen, die ständige Weiterentwicklung von Software und das intensive Erlebnis für die User. Zu den typischen Anwendungen werden Blogs, Wikis, RSS-Feeds, die Online-Verwaltung von Bookmarks wie bei Del.icio.us und die Verwaltung von Fotos wie bei Flickr gezählt.
Alles und nichts
Statt der Taxonomy - also der Klassifizierung von Daten - gibt es jetzt die "Folksonomy" - frei vergebene Stichworte der User. Selbst die freie Softwarebewegung und Creative Commons - das alternative Lizenzmodell für urheberrechtlich relevante Werke - werden zum Web 2.0 gezählt. Schon diese Auflistung zeigt: Web 2.0 bezeichnet alles und nichts.
"Ein Jargon, den keiner versteht"
Tim Berners-Lee, der das World Wide Web mitbegründet hat, nerven der Begriff Web 2.0 und der Hype darum offensichtlich. Als ihn Scott Laningham, der Herausgeber des IBM Developer Works Podcasts, vor einigen Monaten fragte, ob auch er der Meinung sei, dass es im Web 2.0 um die Vernetzung und die Zusammenarbeit von Menschen gehe, verneinte Berners-Lee recht brüsk.
Im Web sei es von Anfang an um die Vernetzung von Menschen und einen interaktiven Raum gegangen, so Berners-Lee. Web 2.0 sei ein Jargon, von dem niemand wisse, was er bedeuten solle. Dieses Web 2.0 verwende Standards, die die Entwickler des Web 1.0 geschaffen hätten, wie HTML, HTTP und vieles mehr.
Technisch kaum Neues
Von der technischen Seite betrachtet gibt es im Web 2.0 tatsächlich kaum Neues. Die einzige Technologie, die relativ neu ist, ist AJAX. AJAX steht für Asynchronous Javascript and XML und bezeichnet ein Konzept der asynchronen Datenübertragung zwischen einem Server und einem Browser.
AJAX ermöglicht es also, innerhalb einer HTML-Seite eine HTTP-Anfrage durchzuführen, ohne die Seite komplett neu laden zu müssen. Damit können interaktive Web-Anwendungen realisiert werden, die von der Bedienbarkeit ähnlich gestaltet sind wie Anwendungen auf dem eigenen Desktop. Google verwendet AJAX zum Beispiel für Google Maps, Google Groups und Gmail.
Web 3.0?
Während noch darum gestritten wird, ob "Web 2.0" nun ein guter Begriff sei oder nicht und ob man sich darauf einigen könne, was nun damit gemeint sei, wurde bereits ein neuer Begriff geprägt: "Web 3.0". Was das wiederum sein soll? Einige meinen, es könnte das "Semantic Web" gemeint sein, an dem nicht in erster Linie Marketingstrategen, sondern Wissenschaftler und Entwickler seit vielen Jahren arbeiten.
(Sonja Bettel)
