US-Börsen zwischen Euphorie und Technologie
An der Schwelle zum nächsten Jahrtausend boomen die US-Aktienmärkte wie nie zuvor. An der elektronischen US-Börse Nasdaq jagt ein Rekord den anderen. Seit Jahresanfang hat sie um etwa 68 Prozent zugelegt.
Der Dow-Jones-Index für die stärksten 30 US-Werte stand Anfang Jänner bei 9.184 Punkten. Er nähert sich jetzt seinem Rekord von 11.326,04 Punkten. Mit 22 Prozent Wertzuwachs steht der Dow jedoch deutlich im Schatten der Nasdaq.

Starke Kurseinbrüche im August sahen die Investoren nur als günstige Kaufgelegenheit. So verzeichneten beispielsweise America-Online-Aktien im Spätsommer einen Wertverlust von 55 Prozent. Gegen Jahresschluss konnte der weltgrößte Online-Anbieter jedoch wieder mit einem stolzen Kurszuwachs von über 230 Prozent aufwarten.
Online-Makler
Kaum ein Anleger wollte den Expresszug an der Börse verpassen.
Online-Makler wie ETrade und Charles Schwab bieten inzwischen jedem
Investor die Möglichkeit, sich selbst aktiv am Börsengeschehen zu
beteiligen. An der New Yorker Börse entfallen mittlerweile bereits
30 Prozent des gesamten Handelsvolumens auf individuelle Investoren.
1989 waren es unter 15 Prozent gewesen. Der Rest entfällt auf
Großanleger. Vom Nachbarn nebenan über den Barmann in der
Stammkneipe, jeder hat seine persönlichen Börsenfavoriten und
Erfolgsstorys.

Warnung
Trotz der Wall-Street-Euphorie wies ein Großteil aller US-Aktien Minuszeichen auf. Denn das Anlegerinteresse konzentrierte sich nur auf einige Dutzend Großunternehmen sowie eine Hand voll spekulativer Internet- und Technologiewerte. Die meisten Unternehmen aus diesem Bereich müssten allerdings jährliche Gewinnzuwächse von mehreren hundert Prozent erzielen, um der traditionellen Börsenbewertung ihrer Aktien gerecht zu werden.
Deshalb mehren sich kritische Stimmen. "Anleger können letztlich nichts anderes von ihren Unternehmen erwarten als deren Gewinne", schrieb der bekannte Milliardär und legendäre Erfolgsinvestor Warren Buffet kürzlich im US-Wirtschaftsmagazin "Fortune". Er hält es für unmöglich, dass der Dow weiterhin jährlich um über 20 Prozent steigt.
Wachstum wird sich verlangsamen
Auch Goldman-Sachs-Analystin Abby Cohen glaubt an eine Beruhigung: "Die Aktien haben ihren fairen Wert erreicht. Von nun an zählen Unternehmensprofite", erklärte sie dem "Wall Street Journal". Das bedeutet, dass sich das Wachstum des Dow auf etwa sieben Prozent im Jahr verlangsamen könnte. Aber auch damit würde der Dow bis 2010 auf über 20.000 Punkte steigen.
Der New Yorker Fondsmanager Heiko Thieme prognostiziert schon bis Ende 2000 einen Anstieg des bekanntesten US-Börsenbarometers auf 12.500 bis 13.000 Punkte.
Vorsicht geboten
Angesichts der gewaltigen Menge von Aktiengängen bei Internet-Unternehmen warnte Buffet: "Autos und Flugzeuge hatten Amerika ebenfalls vor langer Zeit grundlegend verändert."
Laut Buffet sind von ehemals 2.000 Automobilfirmen ganze drei übrig geblieben. Es überlebten auch nur wenige Flugzeugbauer, obwohl beide Technologien enorme Auswirkungen auf den Alltag der Amerikaner hatten. Die Investoren gingen jedoch mit Aktien dieser Unternehmen weitgehend leer aus.
Der 53. Rekord der Nasdaq '99
Die Nasdaq hat gestern erstmals die 3.700er-Marke überschritten. Der "Nasdaq Composite Index" ist gestern um 93,11 Punkte [oder 2,57 Prozent] auf 3.715,06 Punkte geklettert. Das "Dow Jones Industrial Average" erreichte 11.244,89 Punkte [plus 19,57 Punkte oder 0,17 Prozent].