Der große "Bücher-Raub" bei Amazon
Die Medienkünstlergruppe Ubermorgen.com will mit ihrem jüngsten Projekt "Amazon Noir" beim Online-Händler Amazon.com Bücher "stehlen". ORF.at hat mit Hans Bernhard von Ubermorgen.com über die Aktion gesprochen.
Seit Oktober 2003 können beim weltgrößten Online-Einzelhändler Amazon.com über die "Search Inside the Book"-Funktion Bücher im Volltext durchsucht werden. Im Suchergebnis wird ein kurzer Abschnitt des durchsuchten Buches, samt abgefragten Suchbegriffen, dargestellt.
Das will sich die Wiener Medienkünstlergruppe Ubermorgen.com im Rahmen ihrer Aktion "Amazon Noir" zu Nutze machen. Mithilfe spezieller Software-Roboter werden Tausende Abfragen pro Buch an Amazons "Search Inside The Book" gesendet.
Die aus den Suchabfragen resultierenden Einzelteile eines Buches werden danach wieder zum Volltext zusammengesetzt und kostenlos zum Download zur Verfügung gestellt.
Zwar stellt "Amazon Noir" auch Fragen zum Urheberrecht im digitalen Zeitalter, Hans Bernhard und sein Team [Lizvlx, Paolo Cirio und Alessandro Ludovico] sind jedoch eher an den medialen und sozialen Folgen der Aktion interessiert.
Am 15. November 2006 werden, umrahmt von einem Comic-Strip, der an die Noir-Ästhetik der fünfziger Jahre erinnert, die ersten virtuellen Buch-Downloads verfügbar sein. Derzeit sind in der Galerie Plattform Raum für Kunst im Rahmen der Vienna Biennale erste Skizzen zu "Amazon Noir" zu sehen.
ORF.at: Was bezwecken Sie mit "Amazon Noir"?
Bernhard: Uns interessiert es, in globalen, massenmedialen Netzwerken Kommunikationsexperimente zu fahren. Wir sehen "Amazon Noir" in der Tradition des digitalen Aktionismus. Daneben war es natürlich eine technische Herausforderung die Software-Roboter -wir nennen sie "suckers" - zu konzipieren und zu implementieren. Das hat sich als machbar herausgestellt.
ORF.at: Wie lange brauchen Sie, um mit Ihrer Software ein komplettes Buch über das "Search Inside the Book"-System herunterzuladen?
Bernhard: Zwischen vier und 24 Stunden. Dazu sind fünf- bis sechstausend Requests notwendig.
ORF.at: Wie viele virtuelle Bücher haben Sie bereits heruntergeladen?
Bernhard: Bis jetzt ungefähr 30. Bei der Veröffentlichung des Projekts sollen es rund 120 sein. Danach kann jeder Bücher anfordern. Wir werden aber voraussichtlich auch Top-5-Listen anbieten, etwa von Prominenten.
ORF.at: Die Resonanz der globalen Netzwerke auf Ihre Kommunikationsexperimente sind zentrale Bestandteile ihrer Aktionen. Hat Amazon.com schon reagiert?
Bernhard: Noch nicht, wir sind erst in der Testphase. Ich habe aber heute Nacht von Amazon geträumt: Dass sie uns fertigmachen und zwar mit den perversesten juristischen Tricks. Dass sie uns von hinten und vorne mit Klagen so zuschütten, dass wir am Schluss wie ans Kreuz genagelt, immobil, nichts mehr tun können.
ORF.at: Könnte das Realität werden?
Bernhard: Eine Taktik, die wir im Umgang mit solchen Monstern wie Amazon.com gelernt haben, ist, alles auf uns zukommen zu lassen.
ORF.at: Amazon ist nicht der erste Internet-Riese, mit dem Sie sich anlegen. Im Rahmen ihrer Aktion "Google Will Eat Itself" kaufen Sie Google-Aktien. Das Geld dafür verdienen Sie mit fingierten Klicks über das Google-Adsense-Programm auf eigens dafür angelegten Websites. Was sagt Google dazu?
Bernhard: Vor kurzem haben wir einen Brief von der Rechtsabteilung von Google in Hamburg bekommen, in dem wir freundlich darauf hingewiesen werden, dass es illegal ist, was wir machen. Sie haben aber auch geschrieben, dass sie verstehen, dass unser Projekt Kunst ist, es aber trotzdem nicht geht.
ORF.at: Auf Ihrer Website spielen Sie "Psychotropic Drug Karaoke" und listen Anti-Depressiva auf, die Sie einnehmen. Macht Medienkunst kaputt?
Bernhard: Ja. Die 90er Jahre waren eine radikale Zeit, in der ich durch meine Beschäftigung mit Internet-Technologie, Drogen und Massenmedien Grenzen berührt und auch überschritten habe. Ich war wahnsinnig und unkontrollierbar.
Die Frage, ob globale Netze jemanden psychisch krank machen können und - wenn ja, ob psychisch Kranke auch das Netz krank machen können, war für mich damals zentral. Das Gehirn und das Netz sind ja ähnliche Organismen. Diese Wechselwirkung hat mich interessiert. Beantworten konnte ich diese Frage jedoch nicht.
Hans Bernhard: Digitaler Aktionismus
Als Mitglied der Internet-Künstlergruppe etoy.com wurde Hans Bernhard 1996 mit dem PrixArs Electronica ausgezeichnet. Die Künstlergruppe, die wie ein Unternehmen strukturiert ist, lieferte sich 1999/2000 einen Aufsehen erregenden Streit mit dem Online-Spielwarenhändler eToys um die Internet-Domain etoy.com. Hans Bernhard nimmt zwar noch eine Funktion in der eToy-Holding wahr, ist aber operativ nicht mehr an den Aktionen der Künstlergruppe beteiligt.
[V]ote auction
Mit dem Projekt "[V]ote auction" schloss Ubermorgen.com [Hans Bernahrd und Lizvlx] Demokratie und Kapitalismus miteinander kurz und bot US-amerikanischen Wählern die Möglichkeit, ihre Stimme für die Präsidentenwahl im Jahr 2000 über eine Online-Auktionsplattform zu versteigern. Der Aktion folgten zahlreiche Gerichtsverfahren in den USA. Die daraus resultierenden Dokumente wurden in Ausstellungen der Medienkünstler präsentiert.
Google Will Eat itself
Mit "Google Will Eat Itself" wollen Ubermorgen.com das Internet-Unternehmen Google übernehmen. Das Geld, das mit fingierten Klicks auf die Werbeeinschaltungen des Google-Adsense-Programms auf eigens dafür angelegten Websites in die Kassen der Künstlergruppe fließt, wird in Google-Aktien investiert. Gemessen am derzeitigen Börsenwert der Google-Papiere wird es noch rund 200 Millionen Jahre dauern, bis das Ziel erreicht ist.
(futurezone | Patrick Dax)