Heftige Reaktionen auf Napster-Schließung
Nach der überraschenden Niederlage für Napster vor einem US-Bundesgericht schlagen die Wellen hoch: Die einstweilige Verfügung zur Schließung der MP3-Tauschbörse sorgt weltweit für heftige Diskussionen.
Mit gutem Grund, denn dieses Urteil könnte das Aus für das Unternehmen Napster bedeuten. Richterin Marilyn Hall Patel hatte ihren Schiedsspruch, unerwartet für alle Beteiligten, nach einer zweistündigen Anhörung unmittelbar danach im Gerichtssaal gefällt.
Patel hatte zuvor die Verteidigungs-Argumentation von Napster gründlich zerpflückt: Das Unternehmen hatte angeführt, seine Dienste fielen unter das "Audio Home Recording"-Gesetz. Patel befand, es seien zu viele Personen beteiligt, um diese Regelung anwenden zu können.
Das im Verfahren angeführte Material einschließlich der vorliegenden internen Napster-Memos hätte sie davon überzeugt, dass die meisten User sich hauptsächlich urheberrechtlich geschütztes Material mit Napster downloaden würden. Wörtlich sprach Patel davon, dass mit Napster "ein Monster erschaffen worden" sei.
Napster beruft noch heute
Die Bezirksrichterin folgte über weite Strecken der
Argumentationslinie der "Recording Industry Association of America"
[RIAA], die behauptet hatte, Napster würde geltendes Recht
verletzen, indem man sich weigerte, Gebühren an die Inhaber der
Urheberrechte zu zahlen. Der Anwalt der RIAA, Russell Frackman
sagte, täglich würden 20 Millionen Titel heruntergeladen, davon
seien ungefähr 90 Prozent durch das Urheberrecht geschützt. Zudem
unterstellte er Napster, bis Ende des Jahres 75 Millionen User zu
haben. Die einstweilige Verfügung sieht konkret vor, dass Napster am
Samstag ab 6.00 Uhr MESZ abgeschalten werden muss. Richterin Patel
lehnte den Antrag von Napsters Staranwalt David Boies ab, das Urteil
zu einem späteren Zeitpunkt in Kraft treten zu lassen. Napster will
noch heute eine Klage gegen die einstweilige Verfügung einreichen.
Boies sagte, das Urteil sei "unmöglich einzuhalten und zu befolgen",
da Napster keine Liste von Liedern erhalten hätte, die zu sperren
seien.


Napster sieht Weiterbetrieb gefährdet
Obwohl das Urteil von Patel nur knapp an einer kompletten Stilllegung des Unternehmens vorbeischrammte, sagt Napster-Anwalt Boies, es könne die gesamte Geschäftstätigkeit lahm legen. "Zwischen jetzt und dem eigentlichen Gerichtsverfahren wird Napsters Service erheblich eingeschränkt", so der Anwalt. Eine gütliche Einigung der Kontrahenten nannte Boies jetzt unwahrscheinlich.
Cary Sherman, Hauptanklagevertreter für die RIAA, begrüßte das Urteil. Es könne den Grundstock für legale Musik-Downloads bilden und zudem ein Signal an andere MP3-Tauschbörsen aussenden.
Metallica-Drummer Lars Ulrich sagte in einer ersten Reaktion: "Wir sind erleichtert. Tauschen ist ein so warmes, freundliches Wort ... Aber bei Napster geht es nicht um Tauschen, da geht es um Kopieren."
Napster-Chef Barry kündigte unterdessen an, auf verschiedenen Wegen für die Erhaltung der Napster-Gemeinschaft kämpfen zu wollen. Das Unternehmen verstehe den Gerichtsentscheid und die Grundlage dafür, lehne ihn jedoch ab.
Auch Bertelsmann triumphiert
Die Gerichtsentscheidung sei "ein Meilenstein im Kampf gegen den
laxen Umgang mit geistigem Eigentum im Internet." Mit diesen Worten
kommentierte ein Sprecher von Bertelsmann heute die erzwungene
Schließung von Napster. Das Urteil werde über Napster hinaus
Auswirkungen auf den Umgang mit Musiktiteln haben. Die Bertelsmann
Music Group [BMG] will im Herbst ihren gesamten Musikkatalog ins
Internet stellen, sodass Kunden einzelne Stücke gebührenpflichtig
herunterladen können.

Schlacht gewonnen, Krieg verloren?
Auch wenn die Musikindustrie diese Schlacht gewonnen hat, der Krieg um die Urheberrechte im Internet ist damit noch lange nicht beendet. Selbst wenn Napster seine Online-Pforten schließen muss, die Technik existiert weiter im Netz und wird die Industriebosse weiter verfolgen.
Und die richterlich verordnete Zwangsmaßnahme wird voraussichtlich zu einem neuen Boom an Ideen führen, wie der Austausch von Musikstücken unter Freunden weiter bewerkstelligt werden kann.
Zunehmender Beliebtheit erfreut sich schon jetzt das Programm Gnutella, das weniger zentralisiert und damit rechtlich weniger angreifbar den Musiktausch ermöglicht.
Der Streit um die Musik im Netz
ist nur der Anfang. Dank immer schnellerer Internetverbindungen
wird es auch immer leichter, Videoclips und ganze Filme über das
Netz zu transportieren. Nicht nur zur kostengünstigen Anlieferung
von Spielfilmen für die zahllos aus dem Boden geschossenen
Cineplex-Zentren. Wie bei der Einführung der Videocassette fürchtet
Hollywood einmal mehr um seine Einnahmen, doch der Ausgang ist
diesmal mehr als ungewiss.
