"Offen bleiben, bis es schmerzt"
"Wir bleiben so offen, wie wir nur können, so lange, bis es schmerzt", das sei die Devise von Anfang an gewesen, sagt Jimmy Wales, Begründer der Wikipedia, des maßgeblichen freien Nachschlagewerks im WWW.
Und diese Devise gelte bis heute, denn noch immer bedürfe es bekanntlich nicht einmal eines Log-in, um einen neuen Eintrag im Lexikon anzulegen oder zu bearbeiten, so Wales gegenüber futurezone.ORF.at.
"Wir nahmen beim Start ganz einfach an, dass ganz viele gut sind und nur ganz wenige schlecht, und offenbar hat sich diese Einschätzung als richtig erwiesen." Sehr viele Netzprojekte seien vor allem an ihren viel zu hohen Sicherheitsvorkehrungen gescheitert, der hohe Anfangsaufwand habe die Leute abgeschreckt.
Das bedeute natürlich nicht, dass Überlegungen bezüglich höherer Sicherheit überflüssig seien. Man müsse zwar auf alles vorbereitet sein, aber dürfe jeden weiteren Schritt nur dann setzen, wenn er wirklich unvermeidlich sei.
Der Enzyklopädist unter Tage
Wales war am vergangenen Wochenende einer der Hauptredner beim Festival "Elevate" in den Kasematten des Grazer Schlossbergs.
Trolls und andere Vandalen
Wie aber schafft man es, fast 725.000 Lexikoneinträge allein in der englischen Version vor Vandalismus und "Trolls" zu schützen, die quer durch das Netz in Foren zum Randalieren neigen?
Einerseits gebe es "weltweit nur wenige Leute, die Wikipedia wirklich hassen", andererseits stünden viele Freiwillige tagein tagaus bereit, um Unsinn, offenkundige Irrtümer und Fehler von sich aus zu korrigieren, sagt Wales.
Zudem sei gerade der Verzicht auf ein Log-in ein großer Vorteil, da "Trolls" durch die jedem Eintrag zugeordnete IP-Adresse viel schneller sichtbar würden als über Log-in. Die Zahl möglicher Nicknames sei jedenfalls unendlich viel höher als die Anzahl der IP-Adressen, die einem typischen "Troll" zur Verfügung stünden.
Arabisch und Chinesissch
Klar seien die europäischen Sprachen nach wie vor dominant, aber
die Wachstumsrate der Einträge auf Arabisch sei mit etwa zehn
Prozent pro Monat viel versprechend. Die nächsten Wachsstumsschübe
erwartet sich Wales in Indien. Hinter den 725.000 englischen
Einträgen liegt schon Wikipedia.de, die bald die Marke 300.000
überschreiten wird [286.000], Französisch ist mit 159.000 auf dem
dritten Platz, aber nur noch knapp vor China, das bei 140.000 hält.
Übersicht über alle SprachenDer richtige Umgang mit Geld
Mit den Artikeln der Wikipedia kann jeder machen, was er will. Sie können auf CDs und DVDs gespeichert und auch entgeltlich weitervertrieben werden. Er selber, sagt Wales, sei höchstens erfreut, wenn er erfahre, dass etwa ein Unternehmer aus Indien eine lokale Wikipedia-Ausgabe gedruckt habe und im normalen Handel weitervertreibe.
Wie aber finanziert man ein derartiges Vorhaben? "Natürlich freuen wir uns, wenn wir unangekündigt einen Scheck von Marc Andreessen über 50.000 Dollar in der Post finden, aber die Regel ist das nicht", sagt Wales. Die Geldgeber der Wikipedia seien vielmehr Tausende unbekannte Fans der Enzyklopädie, die Beträge zwischen 20 und 50 Dollar schicken, weil sie wie der spendable Netscape-Gründer Andreessen einfach Fans der freien Enzyklopädie sind.
Wales selbst hat den richtigen Umgang mit Geld recht gründlich erlernt und praktiziert. Im Leben vor Wikipedia war der nunmehrige Enzyklopädist nämlich im Futures-Handel von Devisen als Broker tätig, machte also in Spekulationen auf dem internationalen Währungsmarkt.
Erstaunlicherweise liegen sogar in der lateinischen Version mehr als 3.500 Beiträge vor. Das Kapitel "technologia computations" harrt freilich noch seiner Aufarbeitung durch technologiekundige Altphilologen.
Die lateinische Ausgabe
