Mainframes, IMPs und eine Million Dollar
Router, die den Datenverkehr im Netzwerk regeln, zählen heute fast schon zu den gängigen Haushaltsgeräten. Der Urahn der praktischen kleinen Datenverteiler war allerdings so groß wie ein Kühlschrank und kostete so viel wie eine ganze Flotte Cadillacs.
1967 war die Zeit der Großrechner, der Männer in weißen Mänteln, die sie bedienten, aber auch des "Time-Sharings", der Aufteilung der Rechnerzeit für unterschiedliche Projekte.
Rechnen und Kommunikation
Bei der US-Forschungsagentur ARPA, der Advanced Research Project Agency, setzte sich vor 40 Jahren allmählich die Meinung durch, ein Computer sei mehr als nur eine Rechenmaschine. Er könnte für die Kommunikation eingesetzt werden und nicht nur für die Berechnung von Raketenlaufbahnen. Die Idee dazu entwickelte Joseph Carl R. Licklider bereits Anfang der 60er Jahre.
J. C. R. Licklider leitete Anfang der 60er Jahre das Information Processing Techniques Office [IPTO] der ARPA. Von ihm stammt auch die Idee für den Aufbau eines Intergalaktischen Netzwerks, eine der konzeptionellen Grundlagen für die Entwicklung des Internets. Für Licklider, der Mathematik, Physik und Psychologie studierte, standen nicht die militärischen Vorgaben von "Command und Control" an erster Stelle, sondern die Kommunikation.
Es dauerte bis Ende der 60er Jahre, dass sich Lickliders Ideen von einem universellen Computernetzwerk in die Realität umsetzen ließen, und zwar von seinem Nachfolger beim IPTO, Bob Taylor, und seinem Vorgesetzten bei der ARPA, Charles Herzfeld.
Die Legende besagt, dass Taylor an einem schönen Tag im Jahr 1966 das Büro von Herzfeld betrat, ihm kurz das Projekt erklärte und nach nur 20 Minuten mit einer Million Dollar in der Tasche wieder hinausging. Taylor liebt es, die Geschichte kurz zu halten. Ganz so einfach, wie er es erzählt, war es jedoch nicht.
Der Eine-Million-Dollar-Pitch
Herzfeld war bereits seit 1961 bei der ARPA und mit Lickliders Plänen vertraut. Er hatte sich auch stets über die neuesten Entwicklungen auf dem Gebiet der Rechentechnik auf dem Laufenden gehalten.
Er besuchte regelmäßig die Forschungslabors des MIT und der Rand Corporation. Als Taylor in sein Büro spazierte und besagte Dollar-Million für die Verwirklichung des Arpanet wollte, bedurfte es keiner langen Erklärungen mehr.
Es ging nur noch um ein paar kleine Details, erzählt Herzfeld. Entscheidend war, dass Herzfeld das Geld zur Verfügung hatte und es nach eigenem Gutdünken verteilen konnte. Als Chef der ARPA, die immer wieder mal auch DARPA, Defence Research Project Agency, genannt wurde, musste er nur einmal pro Jahr vor dem amerikanischen Kongress einen Rechenschaftsbericht ablegen.
Ein kühlschrankgroßer Netzwerker
Ein Jahr später, am 6.12.1967, gab das amerikanische Verteidigungsministerium einen weitaus geringeren Betrag für die Erstellung einer Studie zum Bau eines Terminals frei, mit dem erstmals Computer in einem Netzwerk miteinander verbunden werden sollten. Der Vorfahr der heutigen Router hieß Interface Message Processor [IMP]. Er diente quasi als Übersetzer zwischen den damals üblichen Großrechnern.
Der IMP war so groß wie ein Kühlschrank und kostete bei seiner Fertigstellung 1969 an die 150.000 US-Dollar pro Stück, inklusive Wartungsvertrag. Zum Vergleich: Das 1969er-Modell des Oberklassewagens Cadillac Eldorado war schon zu einem Listenpreis von rund 6.700 US-Dollar zu haben.
Die notwendigen Adaptionen an Hard- und Software der technischen Grundlage für den IMP, dem Honeywell-Rechner DDP-516, übernahm die Firma Bolt, Beranek and Newman [BBN]. BBN war seinerseits ein kommerzielles Spin-off des Massachusetts Institute of Technology.
Der Sprung nach Europa
Am 15. Oktober 1969, beim zweiten Versuch, begannen die ersten beiden IMPs, die in Los Angeles und an der Universität Stanford installiert worden waren, miteinander zu kommunizieren - mit den Worten "Log in".
Es sollte vier Jahre dauern, bis der erste IMP in einem europäischen Land installiert wurde. 1973 sollte Peter Kirstein vom University College in London den ersten Übersee-Link in das Arpanet setzen.
Dazu brauchte er einen IMP, den ihm die ARPA gerne zur Verfügung stellte. Kaum hatte Kirstein jedoch die Kiste mit dem wertvollen Inhalt von seinen US-Kollegen erhalten, konfrontierten ihn die britischen Behörden mit einer Forderung. Kirstein sollte für die Einfuhr 5.000 Pfund berappen - damals wie heute eine Menge Geld, die Kirstein nicht hatte. Er meisterte die Situation, indem er die Beamten vertröstete: "In Ordnung, wir zahlen das, aber lasst uns zuerst ein wenig darüber reden ..."
Ein paar Jahre später schaffte es Kirstein dann, das britische Finanzministerium davon zu überzeugen, dass das Terminal Eigentum des US-Verteidigungsministeriums sei und deswegen auch nicht der Steuerpflicht in Großbritannien unterliege.
Vom Arpanet zum Internet
In den 70er Jahren blieb das Arpanet mehr oder weniger ein experimentelles Netzwerk für ein paar Universitäten. Es war noch nicht das Netzwerk der Netzwerke, das Internet. An den dafür notwendigen Protokollen arbeiteten Anfang der 70er Jahre Bob Kahn und Vint Cerf.
Aber erst 1983 hatten die alten Protokolle des Arpanet wie das Network Control Protocol ausgedient und wurden von TCP/IP abgelöst. Etwa zur selben Zeit ging die Verwaltung des Arpanet an die zivile Wissenschaftsförderungsinstitution National Science Foundation [NSF] über. Aus einem Netzwerk, zu dem nur jene Universitäten einen Zugang hatten, die Auftragnehmer der ARPA waren, wurde in der Folge ein nationales Forschungsnetz.
180.000 Dollar für einen Router
Das neue Netz stand allen Universitäten und Forschungseinrichtungen offen, erzählt Dennis Jennings. Der aus Irland stammende Wissenschaftler wurde 1984 Vorsitzender der amerikanischen National Science Foundation und war wesentlich am Aufbau des Basisnetzwerks für das NSFNET beteiligt.
NSFNET, so das grundlegende Konzept, sollte aus einem Zusammenschluss von drei unterschiedlichen Netzwerken bestehen: einem Campusnetzwerk, einem regionalen Netzwerk und dem Backbone Network, das die verschiedenen Regionalen und universitären Netzwerke miteinander verbinden würde.
Alte Freunde brauchen Geld
"Als wir damit begannen, dieses Netzwerk aufzubauen, brauchten wir Router", sagt Jennings, "Heute nennt man sie Router. Wir nannten sie damals 'Router Switches' und 'Gateway Switches'. Die sollten die Knotenpunkte verbinden und die Datenpakete weiterleiten. Als wir den Markt dafür untersuchten, fanden wir Cisco, Proteon und einige andere, an deren Namen ich mich nicht mehr erinnern kann. Und da war noch Bolt Beranek and Newman, BNN."
Jennings stieß jedoch schnell auf Probleme finanzieller Natur. "Die Spezifikation für diese Geräte hat ein Expertenteam ausgearbeitet, denn ich selbst bin kein Techniker, ich sehe mich eher als technischen Manager. Ich hatte also Experten zur Verfügung, die mich berieten und das Angebot mit den Spezifikationen verglich. Der einzige Lieferant, der die Spezifikationen erfüllen konnte, war damals BBN. Aber die verlangten für einen ihrer Router 180.000 US-Dollar - und das bereits nach Abzug des Preisnachlasses, den sie der DARPA gewährten. Auf dem freien Markt verlangten sie 250.000 Dollar pro Stück. Wir brauchten fünf dieser Geräte, aber ich hatte dafür kein Budget mehr."
Vom IMP zum Fuzzball
Diese nach den neuen Spezifikationen gestalteten Router hatten nur noch wenig gemeinsam mit den alten IMPs, für die man auch 1969 noch gut 150.000 Dollar zahlen musste. Sie wurden auch noch immer von Bolt Beranek & Newman gefertigt. Jennings hatte 17 Millionen Dollar für den Aufbau des NSFNET zur Verfügung, aber derart teure Router waren im Finanzplan nicht vorgesehen.
"Und überhaupt, es wäre einfach falsch gewesen, diese teuren Router zu kaufen. Die Universitäten hatten dafür nicht das Geld", sagt Jennings. "Wir brauchten also Router, die weniger als 10.000 Dollar kosteten. Cisco und Proteon boten zwar ein derartiges Gerät an, aber es erfüllte nicht unsere Vorgaben. Ich kannte damals den Gründer von Cisco, Len Bosack, ich wusste, die hatten das beste Produkt auf dem Markt, aber eben nicht für unsere Spezifikationen. Und sie hatten damals auch keine Organisation hinter sich, um die Wartung zu gewährleisten. Also kam Cisco nicht infrage. Dasselbe galt für Proteon. Die einzige Wahl, die uns blieb, war BBN. Wir steckten fest."
Die Software-Lösung
In dieser Situation erschien der Computerwissenschaftler Dave Mills auf der Bildfläche und erzählte von seinem Projekt: einer Software namens Fuzzball, die er für den DEC Minicomputer PDP-11 geschrieben hatte und die auch die geforderten Spezifikationen erfüllte. PDP-11 war zur damaligen Zeit, Mitte der 80er Jahre, ein begehrter Rechner für Wissenschaftler und Ingenieure und dementsprechend an den Universitäten verbreitet. Trotzdem war damit das Problem noch nicht vom Tisch, erzählt Jennings.
"Jetzt begannen die Diskussion darüber, wie risikoreich es wäre, einen nationalen Backbone auf der Grundlage einer Software aufzubauen, die von einer einzigen Person geschrieben worden war. Es gab keinerlei Organisation im Hintergrund, die dieses Experiment unterstützen hätte können. Wer sollte die Wartung übernehmen? Dave Mills sagte darauf nur: 'Ich mach das. Ich kann das über das Netz erledigen.' Und so war es. Ich glaube nicht, dass Dave Mills in diesen zwei Jahren, in denen er die Fuzzballs überwachte, viel Zeit zum Schlafen gefunden hat. Aber ich traf diese Entscheidung, weil die Fuzzballs die Spezifikationen erfüllten und auch den richtigen Preis für uns hatten. Sie waren leistbar, und die Industrie hatte jetzt eine neue Zielvorgabe. Ich kann mir zugutehalten, dass ich Firmen wie Cisco dazu motivieren konnte, in dieser Richtung weiterzuentwickeln."
Hardware für das CERN
Nach Europa kamen die neuen Router Ende der 80er Jahre über die Europäische Organisation für Kernforschung [CERN]. Dort erwartete Ben Segal ein damals in Europa begehrtes Testobjekt von Cisco. Daniel Karrenberg, der in Amsterdam am Aufbau von Eunet beteiligt war und heute der Internet Society vorsteht, bekam davon Wind und überzeugte Segal, dass er die Box nicht in die USA zurück-, sondern an sein Büro weiterschicken sollte.
"Was wir damals suchten, war ein Gerät, das man heute Router nennt", sagt Karrenberg. "Also einen kleinen Computer, der möglichst keine Festplatte haben sollte und kein Betriebssystem, und der einfach nur die Paketvermittlung übernehmen sollte. Und das gab es damals. Dennis Jennings hat diese Entwicklung beim Aufbau des NSFNET gefördert. Das nannte man Fuzzball, und David Mills war der Mann, der das gemacht hat, und Cisco das Unternehmen, das etwas Derartiges kommerziell anbot."
Ein Königreich für einen Router
Karrenberg erinnert an die Hardware-Knappheit: "Wir hatten von diesen Routern gehört, aber wir kamen da sehr schlecht ran, weil die USA zu dieser Zeit die gleichen Bedürfnisse hatten wie wir. All diese regionalen Netzwerke kamen auf, die an das NSFNET und Arpanet angeschlossen wurden und das Internet sozusagen weiter ins Land hineinbrachten. Alle brauchten diese Geräte. Cisco war der Nachfrage nicht gewachsen und kämpfte mit Produktionsschwierigkeiten."
Cisco habe zuerst den Heimatmarkt versorgen wollen. "In einer derartigen Situation steht der internationale Markt bei denen natürlich nicht an erster Stelle", sagt Karrenberg. "Nur mein persönlicher Kontakt zu Ben Segal verhalf uns zu so einem Gerät. Und es war damals auch meine größte Sorge, dass wir nie wieder eines zu sehen kriegen würden, wenn der das in die USA zurückgeschickt hätte. Deswegen habe ich ihm gesagt: 'Du schickst das zu mir, und ich regle alles Weitere.'"
Vom Kühlschrank zum Kästchen
Die Idee von Bob Kahn, die Intelligenz der Netzwerke an deren Enden anzusiedeln und die Router dazwischen den Verkehr regeln zu lassen, sorgte am Ende dafür, dass die lokalen Verbindungen zwischen Computern in einzelnen Institutionen mit der Zeit zu einem Netzwerk von Netzwerken zusammenwachsen konnten.
Heute kann man einen Router in jedem Fachgeschäft erwerben, ein solides Gerät für den Hausgebrauch kostet nicht viel mehr als 60 Euro. Und aus dem einst dummen Kästchen wurde in der Zwischenzeit ein sehr komplexes System, das zu weit mehr Leistung fähig ist als nur zum neutralen Weitertransport von Datenpaketen.
Heute Abend in "matrix"
Erfahren Sie alles über IMPs und neue Formen der politischen Partizipation im Internet. Sonntag, 22.30 Uhr im Ö1-Netzkulturmagazin "matrix".
(matrix | Mariann Unterluggauer)