Der Irak, die Domain und der Krieg
Im Rahmen der erweiterten fuZo-Berichterstattung über die Irak-Krise haben wir Andy-Müller Maguhn, einem der gewählten ICANN-Direktoren, einen kleinen Katalog von Fragen, die bis dato offen geblieben waren, vorgelegt.
Frage eins
Wenn die USA wie 1991 die gesamte Kommunikationsstruktur des Irak
angreifen, ist es auch zu erwarten, dass in Beirut gehostete
irakische Websites vom Netz geholt werden?

Müller-Maguhn
Ich gehe davon aus, dass die USA im umfassenden Stadium ihres derzeit angekündigten und partiell bereits angelaufenen Angriffskrieges ein möglichst vollständiges Informationsmonopol in der Region erwirken wollen. Dazu werden sicherlich gezielte physische Angriffe auf die Einrichtungen der irakischen Telekommunikation ebenso gehören wie digitale Zersetzungsmaßnahmen.
Inwieweit die US-amerikanischen Streitkräfte dabei Rücksicht auf die Souveränität anderer Länder nehmen, vermag ich nicht vorauszusehen. Aber insbesondere bei digitalen Zersetzungsmaßnahmen gehört es quasi zum Standartrepertoire, Angriffe unter "falscher Flagge" durchzuführen, also die wahre Herkunft von Angriffen zu verschleiern.
Bei "distributed denial of service attacks" beispielsweise sind ja nicht die angreifenden Computer die tatsächlichen Urheber der Angriffe, sondern derjenige, der ihnen das Angriffsprogramm eingepflanzt hat.
Sanktionen von ICANN?
Sehen die ICANN-Statuten Sanktionen irgendwelcher Art vor, wenn
sich etwa ein Inhaberstaat mehrer TLDs feindlich gegen die
gemeinsame Informations-Infrastruktur verhält?

Müller-Maguhn
Die ICANN-Statuten haben diesen Fall nicht einmal vorgesehen. Allerdings gehe ich auch nicht davon aus, dass Angriffe unmittelbar von benennbaren ICANN-Vertragspartnern durchgeführt werden. Denkbar ist für mich allerdings, dass es beispielsweise bei landesspezifischen Top-Level-Domains, die nicht im Land selbst, sondern teilweise von Outsourcing-Dienstleistern in Drittländern betrieben werden, zu Unregelmäßigkeiten im Geschäftsbetrieb kommt.
Ein als Insolvenz oder technisches Problem kaschierter Ausfall ist ja nun einmal deutlich unauffälliger und effektiver.
Warum gehört wem "IQ"?
Wurde es im ICANN je thematisiert, dass für den Irak vorgesehen
die IQ-Domain einem Herrn Saud Alani in Richardson, Texas, gehört?
Wie weit hat ICANN überhaupt Einfluss auf die IANA?

Müller-Maguhn
Soweit ich das richtig sehe, hat der derzeitige Betreiber der irakischen TLD .IQ, Saud Alani, keinen Vertrag mit ICANN. Ich kann daher derzeit nur vermuten, dass es sich bei Herrn Alani noch um einen "registry operator" handelt, der aus der Zeit von Jon Postel den Betreib der .IQ-Domain zugewiesen bekommen hat und möglicherweise irgendwelche Kontakte in den Irak oder zur irakischen Regierung hat oder hatte.
Zur Klärung habe ich eine entsprechende Anfrage an die IANA und ICANN-Rechtsanwalt Louis Touton geschickt. Die IANA wird derzeit im Rahmen der Vertragskonstruktion zwischen ICANN und der NTIA [National Telecommunication Information Agency] zugehörig zum amerikanischen DOC [Department of Commerce] von ICANN betrieben. Allerdings bedürfen Redelegationen einer Einzelzustimmung der NTIA bzw. DOC, also des USG [United States Government].
Keine TLDs für "Schurkenstaaten"?
Wenn schon "Schurkenstaaten" wie IQ und KP als solche keine TLDs
erhalten, warum hat dann Libyen eine?

Müller-Maguhn
Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es zumindest keine offizielle Vorgehensweise bei ICANN, etwaige Delegationsanfragen derjenigen Staaten, welche die USA als "Schurkenstaaten" bezeichnen, nicht zu berücksichtigen.
Angesichts der Zustimmungsbedürftigkeit der US-Regierung bei Redelegationen kann ich eine Delegation an eine dieser Regierung zumindest zum jetzigen Zeitpunkt auch nur als eher unwahrscheinlich betrachten.